Tote Maedchen schreiben keine Briefe
das Gesicht lag im Schatten.
Sie trug klobige schwarze Stiefel, einen langen Rock und eine weiße Seidenbluse. Dunkles Haar umrahmte das schemenhafte Gesicht und fiel ihr auf die Schultern.
»Mom, lass dich umarmen. Ich bin zu Hause!« Sie trat aus dem Schatten.
Es war nicht Jazz.
5. Kapitel
Ich erhob mich aus dem Sessel und blieb wie angewurzelt stehen. Ich starrte die Person an, die nicht Jazz war und jetzt quer durch das Wohnzimmer auf meine überraschte Mutter zufegte. Ihr Haar war dunkel und glatt wie das von Jazz, aber Jazz hatte einen Pony und dieses Mädchen nicht. Aus der Entfernung sah sie aus wie Jazz. Aber das Gesicht stimmte nicht. Sie war hübscher als Jazz, ihre Haut ein wenig zarter, ihre Wimpern länger und dunkler. Jazz war hübsch. Dieses Mädchen war atemberaubend. In seinem Gesicht spiegelte sich ein Hauch von Verletzlichkeit, die meine Schwester nie besessen hatte.
Mit ausgestreckten Armen griff Nicht-Jazz nach Moms Händen und presste sie sich an die Wangen.
»Mom? Du schaust, als würdest du ein Gespenst sehen, aber ich bin kein Geist, großes Ehrenwort. Siehst du, ich bin aus Fleisch und Blut.« Nicht-Jazz ließ Moms Hände los und legte ihre eigenen Hände auf Moms Wangen. »Sieh mich an, Mom. Ich bin es, deine Jasmine.«
Mom stand da, verstört und mit Tränen in den Augen. »Jazz?« Ihre Augen wanderten ruhelos durch das Zimmer, als suchten sie nach einem Halt. Ich konnte ihren flehenden Blick lediglich mit einem verwirrten erwidern. Dad trat von der Veranda ins Haus. Mit hängenden Schultern. Er bewegte sich, als hätte der Boden unter seinen Füßen nachgegeben.
»Ach, Mom, es ist so schön, zu Hause zu sein.« Nicht-Jazz schlang ihre Arme um Mom und drückte sie. Mom blieb zunächst steif und hölzern stehen, dann hob sie zögernd die Arme. Sie brach in heftiges Schluchzen aus, umfasste die Schultern des Mädchens und umarmte es stürmisch.
»Ach, Jazz, Jazz, du bist wieder zu Hause. Du bist zu Hause!« Sie lagen sich weinend in den Armen.
Was ging hier vor?
Nicht-Jazz löste sich aus der Umarmung und wischte Moms Tränen mit den Handballen weg. »Sieh dir uns bloß an. Zwei heulende Lieschen. So würde Opa Wilson uns nennen.«
Meine Welt bekam noch mehr Schieflage. Wie konnte dieses Mädchen von Opa Wilson wissen? Woher kannte es diesen Ausdruck, eine von Opas Lieblingswendungen?
Nicht-Jazz drehte sich um und ihr Blick fiel auf mich. »Sunn, komm, umarme deine große Schwester.« Ehe ich mich's versah, hatte sie mich gepackt und wirbelte mit mir herum. Geschmeidig wie eh und je stolperte ich über die Coladose und stieß sie um.
»Oje, das war meine Schuld«, sagte Nicht-Jazz. Sie kicherte. Ihr Lachen erinnerte an den tröstlichen, lebhaften Rhythmus von Regentropfen, die auf ein Blechdach fielen. »Na ja, Mom, ich schätze, mit der >Anmut und Eleganz< ist es nicht mehr weit her.«
Dad atmete heftig und deutlich hörbar ein. Wir starrten uns an, schwankten zwischen Verblüffung und Verwirrung. Jasmin, insbesondere gelber Jasmin, war ein Symbol der Anmut und Eleganz. Eines von Moms Lieblingsbüchern hieß Die Sprache der Blumen und sie hatte unsere Vornamen mithilfe dieses Buches gewählt. Wer war dieses Mädchen? Woher wusste es solche Dinge?
Nicht-Jazz strich mir über den Kopf. »Entspann dich, Cheekums. Ich wische das auf.« Sie eilte zielstrebig, ohne sich orientieren zu müssen, in die Küche. »Cheekums« war ein Spitzname gewesen, den ich als kleines Kind hatte und den ich hasste. Meine Großmutter hatte ihn mir verpasst, weil ich damals so dicke, runde Backen, cheeks, hatte.
Wer war das Mädchen?
Mom sank auf das Sofa. »Sie ist zu Hause. Jasmine ist wieder zu Hause. Der Herr hat es gut mit uns gemeint.«
Und ich hatte gedacht, es könnte nicht mehr schlimmer werden, als ich Jazz' Brief erhielt.
Nicht-Jazz kam mit einer Handvoll zusammengeknüllten Küchenpapiers zurück ins Wohnzimmer getänzelt. Es sah so aus, als trüge sie einen Chrysanthemenstrauß. Gebückt wischte sie die Pfütze auf.
»Ich weiß, ihr seid wahrscheinlich ziemlich verblüfft, dass ich etwas sauber mache.« Grinsend richtete sie sich auf. »Ich bin nicht mehr die Jazz, die ihr gekannt habt.«
Das war der Beweis: Das Mädchen sagte die Wahrheit, etwas, womit die echte Jazz nie was am Hut gehabt hatte.
Nicht-Jazz flitzte wieder in die Küche und kehrte ohne das Küchenpapier zurück. »Jep, wenn man allein lebt, ändern sich die Dinge. Wenn ich irgendwas unerledigt gelassen habe, gab
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