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Tote Maedchen schreiben keine Briefe

Tote Maedchen schreiben keine Briefe

Titel: Tote Maedchen schreiben keine Briefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gail Giles
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am Fuß der Treppe. Er hielt sich am Treppenpfosten fest und starrte auf die geschlossene Tür zu Jazz' Zimmer.
    »Es tut mir leid, Dad, ich -«
    »Ihr Haar riecht genauso. Weißt du, als sie mich umarmt hat. Es riecht nach dem Zeug, das Jazz benutzt.«
    Er hörte mich nicht. So ist es, wenn Jazz hier ist.
    Dann wurde mir schlagartig etwas bewusst: Dad hatte in der Gegenwart gesprochen und ich hatte in der Gegenwart gedacht.

6. Kapitel
    D ad trat widerstrebend vom Treppenpfosten zurück. »Sunny, ich weiß, das Mädchen ist nicht Jazz. Aber ich denke, wir müssen noch ein paar Stunden lang mitspielen.«
    »Mitspielen?«
    »Ich weiß, wie es mich niedergeschmettert hat, als sie aus dem Taxi stieg und mir schlagartig klar wurde, dass Jazz doch nicht heimkommt. Wenn wir deine Mutter dazu zwingen, das ebenfalls einzusehen, verliert sie den Verstand. Du hast es ja gehört. Sie ist überzeugt, dass das Mädchen Jazz ist.«
    Ich nickte. »Du könntest wirklich recht haben.«
    Dad rieb sich in gewohnter Manier das Kinn. Er war ganz offensichtlich am Grübeln. »Ich will mit Lilys Ärztin sprechen und sie fragen, wie wir damit umgehen sollen.«
    Er blickte mich an. Etwas von seiner früheren Stärke trat wieder zutage. »Was meinst du? Denkst du, das Mädchen ist gefährlich?«
    Ich war mir nicht sicher, ob Dad nur laut gedacht hatte oder meine Meinung für wertvoll erachtete.
    »Wir haben sie gerade mal zehn Minuten erlebt. Woher sollen wir das wissen?«
    Dad war immer noch tief in Gedanken versunken. »Stimmt.«
    »Was hat sie davon, uns wehzutun?«
    »Gute Frage. Selbstzerstörerisch sind wir auch allein.«
    Dem war nicht wirklich etwas hinzuzufügen.
    »Es gibt zu viele offene Fragen und ich möchte Antworten. Lassen wir es einfach mal laufen - beobachte sie, hör ihr zu und achte darauf, wo ihr Fehler unterlaufen. Und die wird sie zwangsläufig machen, sie kann nicht alles wissen.«
    »Dad, das hier ist keine Story für die Zeitung. Das ist unser Leben.«
    »Traust du es dir nicht zu?«
    Damit löschte er sämtliche guten Gefühle, die ich für ihn hatte, aus. Ich starrte vor mich hin und klopfte mit dem Fuß auf den Holzboden, die klatschenden Geräusche des Turnschuhs waren das Morsealphabet meiner Wut. Ich knirschte mit den Zähnen, bis die Muskeln meines Kiefers pochten.
    »Oh, großartig«, sagte Dad. Er stürmte durch das Zimmer und warf sich auf die Couch. »Wieder die alte aggressiv-passive Masche.« Er packte eines der Sofakissen und knallte es gegen die runde Armlehne der Couch.
    Vielleicht war ich aggressiv-passiv, aber Dad und Mom waren nur passiv. Dad war der Reporter. Ein unbeteiligter Beobachter. Mom war schon überfordert, sich anzuziehen. Es spielte keine Rolle, was ich dachte - dieses Mädchen, diese Betrügerin würde bleiben.
    »Sunny, hör mit dem verdammten Klopfen auf. Kannst du bitte einmal das tun, was ich dir sage, ohne beleidigt zu sein?«
    Ich stampfte mit beiden Füßen auf den Boden und stand auf. »Aber sicher doch! Dann helfe ich jetzt, den Tisch zu decken und alles für meine nagelneue Schwester hübsch zu machen. Ganz ohne zu schmollen.«
    Ich rauschte an meinem Vater vorbei, bereit, ein weiteres Massaker an einigen Briefkästen anzurichten.
    Nicht-Jazz sprang die Stufen herunter, schwebte durch den Raum und umarmte Dad.
    Er wich zurück, aber dann senkte er sein Kinn auf ihren Kopf. Es tat mir weh, den wehmütigen Ausdruck auf seinem Gesicht zu sehen, als er an ihrem Haar roch.
    Mom mit dem Brotkorb in der Hand platzte herein. »Los, setzt euch, alle miteinander. Ihr wisst, dass ich es hasse, wenn ein gutes Essen kalt wird.« Weder Dad noch ich gingen gleich zum Tisch. Nicht-Jazz steuerte wie magnetisch angezogen auf die linke Seite der Tafel zu und ließ sich auf den Stuhl gleiten. Es war Jazz' Platz.
    Dad und ich wechselten einen Blick und nahmen unsere gewohnten Plätze ein. Mom reichte, begleitet von Entschuldigungen, Schüsseln herum. »Also, ich fürchte, der Kartoffelbrei ist vielleicht ein bisschen klumpig. Wie es aussieht, gelingt es mir nicht ...«
    Nicht-Jazz fiel ihr ins Wort: »... die Klumpen, diese Lumpen, in den Griff zu bekommen. Und ich hoffe, die Soße ist nicht zu salzig, ihr wisst ja, wie leicht mir die Hand mit dem Salz ausrutscht. Und ich weiß jetzt schon, dass der Braten hart wie eine alte Schuhsohle ist...« Das Mädchen hielt inne und grinste. »Du änderst dich nie.« Es streckte den Arm über den Tisch und berührte Moms Hand. »Gott sei Dank.«
    Wer immer

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