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Tote Maedchen schreiben keine Briefe

Tote Maedchen schreiben keine Briefe

Titel: Tote Maedchen schreiben keine Briefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gail Giles
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sie war, sie kannte Jazz.
    Nicht-Jazz füllte ihren Teller und ihr Zwitschern erinnerte an eine Vogelkolonie im Frühling. »Dad, die Geschichte wird dir gefallen.« Sie begann, von einer witzigen Episode bei einem chinesischen Neujahrsumzug zu erzählen, den sie in New York gesehen hatte. Ich hielt Augen und Ohren offen. Die Stimme des Mädchens war nicht die von Jazz. Die Stimme meiner Schwester klang ein wenig heiser, was Männer sexy fanden, aber mir durch Mark und Bein ging. Jazz neigte dazu, die Wortenden abzuhacken, sie schärfer klingen zu lassen, während Nicht-Jazz' Stimme wie ein Seidenband von einer Spule zu gleiten schien.
    Doch ansonsten klang sie vertraut. Jazz hatte immer ihre Stimme gesenkt und sich beim Reden vorgebeugt, als wollte sie den Zuhörern ein persönliches Geheimnis preisgeben. Sie zog Leute in ihren Bann, spann ein Netz um sie herum und ließ sie nicht mehr los.
    Ich beobachtete, wie Nicht-Jazz das Fleisch auf ihrem Teller zerschnitt und aß. Jazz war Linkshänderin, aber an katholischen Schulen war das verpönt. Jazz hatte gelernt, alles, was mit der Schule zu tun hatte oder was die Nonnen mitbekommen konnten, mit der rechten Hand zu tun. Sie benutzte das Besteck nach europäischer Art, sie schnitt also nicht zuerst alles klein und nahm dann die Gabel zum Essen in die rechte Hand, sondern hielt während der gesamten Mahlzeit das Messer in der rechten, die Gabel in der linken Hand, wobei die Zinken nach unten zeigten. Die Nonnen hatten das als akzeptabel toleriert. Die neue Jazz wohl auch, denn sie benutzte das Besteck, als sei sie Jazz' Klon.
    Ich warf Dad einen Blick zu. Er hatte keine Augen für ihren Umgang mit dem Besteck, sondern lachte über ihre Geschichte. Das Mädchen wusste, wie es ihn fesseln konnte.
    »Also, nach den Drachen und dem Ding mit dem Löwenkopf kamen Musikkapellen und Festwagen. Dann hörte ich auf einmal Dudelsäcke. Und da tauchte doch tatsächlich ein ganzer Trupp Dudelsackspieler im Kilt auf. Und das war noch nicht alles. Direkt dahinter folgte ein Müllwagen.« Sie blickte in die Runde, um auch Mom und mich einzubeziehen. »Ich habe mir das nicht ausgedacht. Da fuhr wirklich ein waschechter, mit Bändern geschmückter Müllwagen heran.« Sie wandte sich wieder Dad zu, beugte sich vor und flüsterte verschwörerisch.
    »Und jetzt frag ich dich, Dad: Wann haben noch mal Dudelsäcke und Kilts in China Einzug gehalten? Und der Müllwagen? Welche Dynastie repräsentiert der Müllwagen deiner Meinung nach?« Sie kicherte und setzte Jazz' Also-echt-Miene auf.
    Die Nachricht von Jazz' Tod hatte kein Erdbeben ausgelöst. Nur eine kurze Eklipse. Und jetzt waren meine Eltern von dem neuen Licht geblendet.

 
7. Kapitel
    » U nd - wie geht es Scheusal und Griesgram, Dad?«
    Bei Jazz' Worten zuckte ich zusammen und ließ die Gabel fallen. Sie prallte am Teller ab und die Soße spritzte über das Tischtuch.
    »Sunny!« Moms Stimme war scharf.
    »Tut mir leid, Mom, ich -«
    »Schimpf nicht mit Sunny, Mom. Das war meine Schuld.« Jazz grinste wie eine Katze, die mit Sahne gefüttert wurde.
    »Ich kann es nicht glauben, dass du das gesagt hast.« Dad warf den Kopf zurück und lachte. Sein sattes Lachen schwoll an wie der Donner eines Sommergewitters, wurde von den Wänden zurückgeworfen und fand sein Echo in Nicht-Jazz und mir.
    »Jetzt kannst du was erleben!«, rief Dad und wischte sich mit der Serviette über die Augen.
    Ich lachte mit ihm und fragte mich, warum es sich so gut anfühlte. Dieses Mädchen hatte gerade eine Scud-Rakete auf unseren Esstisch abgeschossen.
    »Jasmine, ich will an einem Tag wie heute wirklich nicht böse mit dir werden, aber du weißt, wie ich darüber denke. Ich habe euch allen verboten, Großmutter ... so zu nennen.«
    »Und wir haben sie immer so genannt, wenn du außer Hörweite warst.« Ihr Gesicht rötete sich vor Vergnügen. »Wir können nichts dafür, dass deine Eltern geradewegs aus einem schlechten Faulkner-Roman entlaufen sind. Opa Wilson ist einfach ein Griesgram, wie er im Buche steht. Und Oma ist doch nun wirklich ...«
    »... ein Scheusal.« Mom sprach es aus, den Blick immer noch auf den Teller gesenkt. Sie verbarg ihre Augen hinter den Fingern und ihre Schultern zuckten.
    Die Stimmung verdüsterte sich. Dann hob Mom den Kopf und ließ die Hand sinken. »Oje, unser Herrgott möge uns verzeihen. Aber kein Name passt besser zu dieser Frau.« Sie verdrehte die Augen und bemühte sich, ein Grinsen zu unterdrücken.
    »Wisst ihr

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