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Tote Mädchen

Tote Mädchen

Titel: Tote Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Calder
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damals der de luxe -Markt der Welt. Das kommt mir vor wie gestern ...« Er schloss die Augen; seine Stimme wurde ein Flüstern. »In Paris habe ich für Hermès, Louis Vuitton, Dior und Chanel gearbeitet, später dann für Boucheron und Schiaparelli. Als ich deine Mutter kennenlernte und nach London zurückging, war ich der beste Quantenmechaniker Europas. Automaten! Unter allen Luxusgütern waren sie am begehrtesten. Und Europa gab auf dem Markt für Luxusartikel mit seinem L’Art de Vivre den Ton an. Aber die Quantenelektronik birgt zahlreiche Probleme ...« Er riss die Augen auf. »Das größte davon ist ...?« Er setzte sich auf. »Wirklich, Peter, das habe ich dir jetzt oft genug erklärt!«
    »Die Quantenunschärfe«, sagte ich wie aus der Pistole geschossen. »Das unvorhersehbare Verhalten subatomarer Partikel.«
    »Tachyonen, Leptonen, Hadronen, Gluonen, Quarks ‒ Einzelgänger! Randalierer! Sie waren mein Ruin.«
    »Der Crash«, sagte ich. »Ich dachte, der Crash hätte dich ruiniert.«
    »Nach dem ›schwarzen Sonntag‹ gerieten wir zunehmend in Schwierigkeiten. Der Crash war erst der Anfang. Um mit den pazifischen Randgebieten konkurrieren zu können, haben wir tiefer und tiefer in die Struktur der Materie eingegriffen, immer großartigere Spielsachen erschaffen.« Er strich sich mit der Hand über das Gesicht. »Der tückische Wurm! Es war richtig, dass wir gescheitert sind. Wir waren einer esthétique du mal verfallen. Wir schufen Leben, um unsere Eitelkeit zu befriedigen; das Leben hat uns zur Rechenschaft gezogen. Wenn man auf der Quantenebene arbeitet, Peter, und mit den Bausteinen des Lebens hantiert, dann verschwimmt der Unterschied zwischen Stil und Seele. Und Gott lässt sich nicht ins Handwerk pfuschen ...«
    Es klopfte an der Tür. Nursie kam herein, in den Händen eine dampfende Schüssel Kampfer. »Zeit zum Inhalieren, Sir.« Sie stellte die Schüssel ab. »Tss! Hat dieses Mädchen noch nicht einmal Ihr Frühstück abgeräumt!« Sie zupfte an der Bettdecke herum und hielt schließlich einen dünnen Faden ans Licht. »Rosafarbene Spitze, rosafarbene Bänder, rosafarbene Strümpfe. Ein rosafarbenes Mädchen. Rosafarben! Rosafarben! Rosafarben bis zu ihrem Schokoladenherz!« Sie streckte die Hände nach den Muffins und der Teekanne aus, aber Vater schob sie beiseite.
    »Das ist alles, Mrs. Krepelkova, vielen Dank.« Gekränkt wandte sie sich um.
    »Soll ich Ihre Automaten aufziehen, Sir?«
    »Das macht Peter schon, Nursie. Bis später. Vielen Dank.« Sie lächelte schüchtern ‒ dass er sie bei ihrem Spitznamen genannt hatte, wog ihre Enttäuschung wieder auf. Im Hinausgehen wuschelte sie mir durchs Haar.
    Ich wich ihr aus; sie hatte Titania verunglimpft!
    »Sie behauptet, dass die Lilim Männer fressen«, sagte ich, nachdem Nursie fort war, um sie in Misskredit zu bringen; vielleicht wurde sie ja dann davongejagt. »Dass sie andere vergiften. Und dass sie Kinder umbringen, um sie mit ihren eigenen auszutauschen.« Vater lachte, aber er tat meine Behauptungen nicht völlig ab; er wusste nur zu gut, was diesen Groschenromangeschichten über den Aufstieg der Puppen wirklich zugrunde lag.
    »Die Realität, so heißt es, ist nur schwer zu ertragen«, sagte er. »Sei nicht so streng mit ihr. Sie hat Angst.«
    »Und Leute, die Angst haben«, erwiderte ich, um das Klischee zu vervollständigen, »sagen törichte Dinge.«
    Er seufzte, ging jedoch auf meinen Sarkasmus nicht ein. »Aber wie sollte sie auch keine Angst haben? Wir sind alle verführt worden, die Welt ist erkrankt und geht schwanger mit unseren halbmechanischen Erben. Hören wir auf, über Nanotechnologie zu reden, Peter! Alle geben sie uns die Schuld ‒ uns, den Puppenmachern. Ich möchte nicht, dass sie ihre Aufmerksamkeit auch noch auf dich richten.« Er beugte sich vor, um die aromatische Opfergabe einzuatmen, die Nursie ihm dargebracht hatte.
    »Titania geht gleich los. Darf ich sie begleiten? Bitte?«
    »Als ich sie gebaut habe, war ich auf dem Höhepunkt meiner Schaffenskraft. Sie war meine Beste .« Schwitzend und mit roten Augen begutachtete er seine Automaten. »Zieh sie mir auf, Peter.« Meine Hände griffen in die feuchten, frisch geschmierten Motoren und setzten sie in Gang. »Titania ist ein braves Mädchen. Sie würde dir nie etwas tun. Niemals.«
    »Dann darf ich mitgehen?«
    Die Automaten erwachten: Ein Affe, der wie ein Stutzer aus dem 18. Jahrhundert gekleidet war, nahm eine Brise Schnupftabak; ein Zauberer zersägte

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