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Tote Mädchen

Tote Mädchen

Titel: Tote Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Calder
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Comicserie ‒ in die Anonymität der Nacht hinein. Primavera schwang sich in die Lüfte.
    »Um dieses Ding sollten wir einen großen Bogen machen«, keuchte Morgenstern.
    »Sagen Sie das Primavera«, erwiderte ich.
    Morgenstern wandte sich um. »Himmel!« Ich folgte seinem Blick. Das Klonmädchen, das wir vom Frenchie’s aus gesehen hatten, war über eine Mülltonne drapiert. Zwischen ihren Beinen ragte unzüchtig das Heft eines Messers empor; Zähne mahlten über Metall, was sich anhörte, als würden Fingernägel über Schiefer kratzen. Es ist immer das Gleiche ‒ der Ausdruck verratener Unschuld und aufgedeckter Verbrechen. »Martina, Martina«, sagte ich. »Martina von Kleinkunst.«
    Die Autorikscha fuhr links ran; im Licht der Scheinwerfer sahen wir, wie der blutüberströmte Nanobot Primavera gegen eine Haustür drückte. »Iggy! Meine Magie hat bei ihm keine Wirkung ...« Sie röchelte, als sich die Finger des Nanobots um ihren Hals schlossen. Die Gestalt streifte ihre Kapuze ab und wandte uns ihr Gesicht zu ‒ ein Gesicht so schwarz und ausdruckslos wie poliertes Onyx. Ich machte, dass ich aus dem Wagen kam.
    »Ich bin euklidisch!« Das Lachen des Dings war völlig emotionslos, wie aus der Dose. »Ihr könnt mir nichts anhaben! Ihr seid algorithmisch, ihr seid rekursiv, ihr ...«
    Ich warf mich auf die finstere Gestalt; sie ging in die Knie, nachgiebig wie Teig. »Und wenn schon ‒ ich bin auch euklidisch. Von da draußen. Für mich bist du nur eine Blechmikrobe, nichts weiter!«
    Morgenstern kam vorsichtig näher. »Meinen Sie, das Ding kann uns helfen?« Er versetzte dem Nanobot wie beiläufig einen Tritt.
    Ich starrte in das undurchdringliche Gesicht und in mein eigenes schwarzes Spiegelbild (für einen Moment spürte ich, wie ein Mädchen sich meines Angriffs erwehrte ‒ es flatterte wie ein Vogel in einer Faust). »Dr. Toxicophilous«, sagte ich. »Wir suchen Dr. Toxicophilous.«
    »Ach ja?«, erwiderte der Nanobot (mit der näselnden Stimme eines schrankschwulen Ivy-League-Schülers). »Was meint ihr denn, nach wem wir in den letzten paar Tagen gesucht haben? Hier und da ein paar biomorphe Mädels umzubringen, ist ja schön und gut, aber wir möchten, dass die Sache ein für alle Mal vorbei ist. Das hat etwas mit Berufsehre zu tun. Aber der Alte ist hier nirgendwo. Ab und zu schaut er vorbei, schließlich kann er gehen, wohin er will. Aber wo er lebt ... Die anderen haben sich alle auf die Suche nach ihm gemacht.«
    »Aber er muss hier sein«, sagte Morgenstern. »Es heißt, er wäre in jeder einzelnen Lilim.«
    »Das ist er auch. Aber die Matrix bildet eine unendliche Anzahl von Universen. Wir glauben, dass er dort lebt, wo sich alle Dimensionen berühren.«
    »Und wo ist das?«, fragte ich.
    »Überall«, erwiderte der Nanobot, »und nirgends.« Morgenstern versetzte dem Ding einen Tritt gegen den Kopf. Seine tadellose Physiognomie zerbrach. »Aua! Die harte Tour, was? Als wäre diese Stadt nicht schon beschissen genug. Diese ganzen Mädchen ‒ wie die Ameisen, sag ich euch! Kleine Reflexmaschinen. Eine Milliarde Ganglien. Bäh! Und jetzt fangt Ihr auch noch an ...« Morgenstern trat erneut zu. »Hör mal: Wir reden hier von einer Informationssingularität. Ein schwarzes Loch von einem Bewusstsein.« Sein Kopf rollte zur Seite. »Dein Bewusstsein, Primavera Bobinski!«
    »Lasst uns diesen Puppenmörder umbringen und weitersuchen«, sagte Primavera und rieb sich den Hals. »Er hat mich auf etwas gebracht.«
    Ich packte den Nanobot am Kopf und drehte ihm den Hals um. Plötzlich hatte ich seine Hirnschale in der Hand. Fettige Kügelchen troffen von der Hirnhaut und rollten wie Quecksilber über den Asphalt.
    »Spiegel«, sagte Primavera, »hinter Spiegeln. Nirgendwo ein Zugang. Ich muss versuchen, meinen eigenen Hinterkopf zu sehen. Meinem Ich entgegentreten.« Sie öffnete ihre Kampfjacke. »Schick die Autorikscha weg, Iggy. Ich will nicht, dass sie da mit reingezogen wird.« Unsere Fahrerin ließ sich nicht zweimal bitten.
    »Primavera, schnapp jetzt nicht über.«
    Sie setzte sich wie ein Guru im Schneidersitz hin und starrte in den schwarzen Abgrund ihres Nabels. Beim ersten grünen Flimmern trat ich einen Schritt zurück; Morgenstern folgte meinem Beispiel. »Zeit für Ouroboros«, sagte sie. Wie wenn in einem Flugzeug eine Fensterscheibe platzt und der Druck abfällt, wurde erst ihr Haar und dann ihr Kopf in ihren Unterleib gesogen. Plop! Schultern, Arme, Beine folgten, bis nur noch eine

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