Tote Mädchen
Tatsache, dass unser Freund hier« ‒ ich deutete auf Toxicophilous ‒ »in jeder Lilim lebt?«
»Oh, da steckt weit mehr dahinter«, sagte Toxicophilous, »viel mehr.«
»Sie und Ihre Geheimnisse können mich mal«, sagte Primavera. »Warum wollten Sie uns nach Amerika bringen?«
»In Thailand lief nicht alles nach Plan. Sie, Primavera, die erste Puppe, die in den Osten geschickt wurde, haben die Leute nicht infiziert. Sie haben sie umgebracht! Wir haben Sie natürlich im Auge behalten, seit Sie hier gelandet sind. Jinx steht schon seit Jahren auf unserer Gehaltsliste ...«
»Das war mein Job!«, fauchte Primavera. »Ich musste sie töten!«
»Klar. Damit konnten wir auch leben. Aber was war mit Ihrer Freizeit? Das genügte uns nicht. Wir hätten uns mit einer anderen zufriedengegeben, einem Ersatz, aber Titania wollte Sie aus dem Weg haben.«
»Und was hatten Sie mit uns vor?«, fragte ich.
»Wir wollten Sie verhören. Titania tut ziemlich geheimnisvoll. Wir vertrauen ihr nur bedingt, und ihre Akte ist nicht vollständig. Also mussten wir unbedingt an weitere Informationen rankommen, und diese Informationen mussten geschützt werden. Als Jinx mich angerufen und mir erklärt hat, was Sie mit Kito machen, haben meine Leute über Nacht so viele Anteile gekauft, wie ich brauchte, um sämtliche Zeugen zum Schweigen zu bringen. Na ja, ob Jinx tot ist, muss sich erst noch zeigen. Ich werde die Pikadons anweisen, sich um ihn zu kümmern, nachdem sie Kito und diesen Italiener umgelegt haben. Letztlich darf nur die US-Regierung wissen, wo Titania lebt.« Er zog eine CD aus seiner Brusttasche. Küsste sie. »Und dank Ihnen, Zwakh, wissen wir es jetzt auch. Irgendwann werden wir sie vielleicht mal ausschalten wollen.«
»Verhören?« Toxicophilous lachte. »Sind Sie sicher, dass das alles ist? Sind Sie sicher, dass es im Pentagon und insbesondere bei der DARPA nicht gewisse Leute gibt, die sich brennend dafür interessieren, was in einer Lilim vorgeht?«
»Kliniken«, sagte Primavera. Sie brachte die Worte kaum heraus, so verzweifelt war sie. »Titania wollte mich in eine Klinik schicken!«
»Wohl wahr«, sagte Morgenstern, »aber das fällt nicht in meine Zuständigkeit. Ich wollte nur reden. Und rauskriegen, was wirklich hinter allem steckt ...«
»Aber warum?«, fragte ich. »Warum sollte Titania eine Puppe hintergehen?«
»Sie tut nur, was ihr Programm ihr eingibt«, erwiderte Toxicophilous. »Der Zweck einer Puppe ist es, zu sterben. Titania führt ihre Töchter in die Finsternis ... Ihr Erbe sind die Ängste, Vorurteile und geheimen Sehnsüchte der Décadence . Wie alle Lilim verkörpert sie den Todestrieb Europas. Primavera, begreifst du nicht, wie sehr du den Tod herbeisehnst? Wie sehr alle Lilim den Tod herbeisehnen? Das ist das ganze Geheimnis. Das einzige Geheimnis der Matrix. Wie sehr wir ‒ du und ich ‒ uns nach dem Untergang sehnen!«
Primavera biss sich auf die Fingerknöchel.
»Ein Cartier-Automat wie Titania verfügt über die Macht, den Todestrieb freizusetzen«, sagte Morgenstern. »Genau genommen hat sie das längst getan. In den Außenbezirken des Nimmerlands. Wir haben sie darum gebeten. Wir wollten sehen, ob das klappt.«
»Wie Schafe«, sagte ich. »Wie Schafe sind sie in den Tod gegangen.«
»Sie kann jederzeit dafür sorgen, dass es losgeht«, fuhr Morgenstern fort. »Egal wo. Aber bei der nächsten Vorstellung wird Titania darauf achten, dass die Lilim für die USA sterben. Und für sonst niemanden. Damit werden wir bei Verhandlungen über ein verdammt effektives Druckmittel verfügen. Manche Puppen geben natürlich nicht ganz so leicht auf. Primavera zum Beispiel. Soweit ich weiß, ruft Titania schon seit Jahren nach Ihnen ...« Morgenstern stand auf. »Mir gefällt das alles überhaupt nicht. Aber wie soll Amerika sonst seine nationalen Interessen wahren? Niemand führt heute mehr Krieg. Das Ende der Geschichte ist da: Demokratie und Kapitalismus haben gewonnen. Wir müssen neue Wege finden! Um zu kämpfen und zu überleben, Herrgott nochmal ...«
»Verzeih mir, kleine Puppe«, sagte Toxicophilous. »Ich wünschte, ich hätte dir ein richtiges Leben schenken können. Aber irgendetwas in mir hat sich nach einem Opfer gesehnt.«
Primavera ging auf unsicheren Beinen zum Fenster hinüber. »Ach, Iggy. Das ist alles zu viel für mich ...« Draußen brach die Nacht herein. Ich folgte ihr, legte ihr die Hände auf die Schultern. Sie konzentrierte sich auf unser Spiegelbild in der
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