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Tote Mädchen

Tote Mädchen

Titel: Tote Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Calder
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Scheibe. »Es ist vorbei, nicht wahr? Das ist alles, was von mir noch übrig ist ‒ ein Spiegelbild. Ohne jede Substanz. Ohne Bedeutung.« Ich knetete ihre Muskeln; spürte ihre stahlharten Knochen. »Du hattest recht, Iggy. Eine Puppe ist oberflächlich und glatt, nichts anderes. Das habe ich schon immer gewusst. Aber Titania hat mir etwas geschenkt. Keine Seele. Nur etwas, das das Leben erträglich machte. Eine Identität. Ein Ziel. So etwas wie eine Ersatzseele. Und jetzt habe ich nicht einmal mehr das! Sie hat es mit ihren Lügen kaputt gemacht. Warum hat sie das getan? Warum hat mich meine Königin verraten? Kannst du mir das erklären?«
    »Titania denkt eben pragmatisch«, murmelte Morgenstern. »Sie begreift instinktiv, worauf es bei Politik ankommt.«
    »Halten Sie einfach die Klappe, ja?«, sagte ich und wandte mich um. »Ist Ihnen denn überhaupt klar, was Sie da getan haben? Sie beide?« Ich kickte die Automaten über den Boden. »Das hat doch alles keinen Sinn. Ich bleibe lieber hier. Titania war alles, was sie hatte ...«
    »Kommen wir jetzt endlich hier raus?«, fragte Morgenstern.
    Ich stürmte auf ihn zu und packte ihn am Bart, der sich prompt von seinem Kinn löste. »Alles, was sie hatte!«, sagte ich. »Titania war etwas, an das sie glauben konnte. Sie hat ihr etwas gegeben, worauf sie stolz sein konnte. Sie hatte den Vorurteilen etwas entgegenzusetzen.«
    »Lügen«, sagte Toxicophilous. »Alles Lügen.«
    »Ja«, sagte ich und ließ den Bart zu Boden fallen. Noch so ein Trick.
    »Ich habe meinen Vater nie gekannt«, sagte Primavera. »Er stammte aus Polen. Hat Mama in Belgrad geheiratet. Dann sind sie nach England gezogen. Er ist gestorben, als ich sechs Monate alt war. Mama behauptet, die Lilim hätten ihn umgebracht. Zwölf Jahre lang war ich eine brave kleine Serbin. Und dann habe ich einen neuen Papa bekommen. Dr. Toxicophilous. Wirklich großartig! Was für ein Leben ...«
    Toxicophilous griff in seinen Morgenmantel und hielt einen glitzernden Messingstab in die Höhe. Dann warf er ihn durchs Zimmer. »Jetzt wird es funktionieren«, sagte er. »Probiert es aus.«
    »Primavera?«
    »Mmm? Ist es Zeit, nach Hause zu gehen? Und wo ist mein Zuhause? Wohin soll ich gehen, nachdem Titania mich verraten hat?« Sie lächelte, und ihre Lippen zitterten.
    Ich hob den Schlüssel auf. »Ich weiß es nicht. Primavera, bitte ...«
    Sie drehte ihrem Spiegelbild den Rücken zu und legte mir die Arme um den Hals. »Dann mal los«, sagte sie. Ihr Lächeln wirkte unsicher. »Was ist ‒ hast du Angst?« Ihr Schmetterlingsgriff wurde warm und klebrig; ihre Jacke war offen, und ihr Bauchnabel lugte über den Rand ihres Hosenbundes. Sie nahm meine Hand und führte den Schlüssel an seinen Platz. »Beweg dich nicht.« Ihre Fingernägel gruben sich mir in den Nacken. »Nicht atmen. Nicht einmal denken!« Sie wölbte das Kreuz und spießte sich, von Krämpfen geschüttelt, auf dem Messingstab auf. Ihr Schrei zerschellte an meinem Gesicht.
    Die Fensterscheiben barsten. Grüner Nebel strömte in das Zimmer. Ein Sturm heulte über die Ebene des Todes.
    Morgenstern stieß einen frohlockenden Fluch aus.
    »Primavera ...« Eine dünne Blutspur sickerte unter der Tür hervor, hinter der Traum und Wirklichkeit eins waren. Ihre Augen rollten nach oben; ihre Knochen waren zu Staub geworden, ihr Fleisch zu Wasser. Ich schloss sie in meine Arme.
    »Keine Sorge, Iggy«, stöhnte sie, »das bin eigentlich gar nicht ich ...« Sie löste sich in Dampf auf und verschmolz mit den Nebelschwaden.
    »Lebewohl, kleine Puppe«, rief Dr. Toxicophilous.
    Morgenstern schleppte sich, vornübergebeugt und den Kopf gegen den stärker werdenden Sturm gestemmt, zu mir herüber. Aus dem Grasmeer vor dem Fenster erhob sich eine Spindel aus grünem Dunst und verwandelte sich in den Kegel eines Tornados. Dieser Kegel kam auf uns zu gerast, und als der Rand des Mahlstroms die Mauer der Terrasse streifte, wurden wir in einen smaragdenen Kreisel gerissen und wie Herbstblätter in den Himmel emporgeschleudert.
    Ich öffnete die Augen; ich befand mich in Spalanzanis Werkstatt, eine nackte Primavera neben mir. Ich betrachtete meine Hand; nur der Abdruck eines Schlüssels war darauf zurückgeblieben.
    »Willkommen in der Wirklichkeit«, sagte Jack Morgenstern, das leuchtende Auge des Lasers auf uns gerichtet.
    »Sie verdanken ihr Ihr Leben«, sagte ich.
    »Erzählen Sie das meinen Jungs. Spalanzani hat sich geirrt. Wir waren da drin aus Fleisch und

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