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Tote Mädchen

Tote Mädchen

Titel: Tote Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Calder
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ich.
    »Leder«, sagte Jo. »Der Abschaum von Englands Gärstoffen. Schau sie dir an ‒ sie vergnügen sich mit ihren Spielsachen!« Die Polizisten zogen ihre Pistolen aus dem Halfter und streichelten den zutiefst symbolischen Lauf. Mit Falsettstimmen sangen sie:
    »Mein Liebstes.«
    »Mein Schatz.«
    »Bei Tag an meine Brust gedrückt.«
    »Bei Nacht auf mein Kissen gelegt.«
    »Wir glauben.«
    »Wir glauben an das ewige Leben.«
    »Bei Tag.«
    »Aber vor allem bei Nacht.«
    »Denn nachts ist der Glaube am wohlfeilsten.«
    »O ja. Für immer.«
    »Kastraten«, sagte Jo. »Man nehme einen Jungen. Entmanne ihn. Und gebe ihm eine stahlblaue Kanone. Erzähle ihm, sie sei fünfundsechzig Millionen Jahre alt. Von der NASA unter den Valles Marineris ausgegraben. Ein geochemisches Fossil, von Molekularpaläontologen zu neuem Leben erweckt. Rede ihm ein, er hätte eine marsianische Libido.«
    »Die Pistole lebt?«
    »Das ist nur eine Geschichte. Gehirnwäsche ist ein Dreck dagegen. Die Jungs glauben, sie hätten einen Riesenschwanz. Wie der Gott des Krieges. Verleiht ihnen das Gefühl, sie könnten die ganze Welt ficken ...«
    Einer der Untoten presste sich, allem Anschein nach abgeschnitten von seiner Herde in diesem Madchester, in diesem neu entdeckten Land, allein und verwirrt gegen die Schaufensterscheibe, unseren Einwegspiegel, als wollte er die Schaufensterpuppe, deren Augen und Ohren wir uns bedienten, um Hilfe anflehen. Die Polizisten rückten an, von ihren Waffen vorwärtsgezogen wie von schlecht erzogenen Hunden, die an ihren Leinen zerrten. Ein Mädchen trat aus einem nachtschwarzen Eingang.
    »Brüder, haltet ein! Haltet ein, sage ich! Die Menschen sind zu Sklaven der Natur geworden, zu Mätressen des Untergangs, die sich durch Portale aus Sex und Tod in diese Welt einschleichen! Schließt diese Tore! Sperrt den Demiurgen ein!«
    Das Mädchen trug Trauer ‒ außer ihrem Knopfgesicht war alles tiefschwarz.
    »Eine Memoide«, sagte Jo. Die Polizisten wandten ihre Aufmerksamkeit dem Mädchen zu. »Eine von den Vikkis.«
    »Memoide?«
    »Jemand, dessen Gehirn von einem sich selbst reproduzierenden Informationsmuster parasitiert wurde.« Jo seufzte. »Und da behaupten sie, wir wären tot. Wir wären Roboter!«
    »Geh nach Hause, Vikki.«
    »Geh nach Hause, KI.«
    Geh nach Hause, lege dich hin und denke an England.«
    »Schuld ist dieser Comicstrip«, sagte Jo, »der in der Manchester Evening News lief. Er hieß Cruel Britannia , und Gott und die Welt haben sich darüber aufgeregt. Spielt im Jahr 1837. Außerirdische herrschen über die Erde. Ungeheuer aus einer anderen Dimension. Finstere Mächte, die sich an den Qualen Englands laben. Widernatürliche Naturgottheiten. Vikki ist achtzehn. Bei ihrer Krönung ... Ach, Menschenjunge, Vikki ist einfach unglaublich! Läuft davon. Wird zur Königin der Rebellen. Zur Kämpferin gegen Sex und Tod. Und jetzt wimmelt es in Manchester nur so von Möchtegern-Vikkis ... Der Comic ist verboten worden. Natürlich war er satirisch gemeint. Aber Samisdat-Kopien befinden sich weiterhin im Umlauf. Und jeder einzelne Strip hat es auf dein Gehirn abgesehen.«
    Ich wandte mich ab. »England schreit!«
    »Erstkontakt, Menschenjunge. Paranoid?« Das Zischen von Lasern; das Knistern von Musselin. »Pathetisch! Mit Natur hat das nichts zu tun. Weiß nicht jeder, dass Sex und Tod ewig sind?«
    »Schalt das ab!«, sagte ich.
    »Aber ich dachte, du wolltest Bescheid wissen, Menschenjunge.«
    »Das Leben dort draußen ist genauso verrückt wie im Nimmerland. Ich dachte, ich dachte, vielleicht ...« Jo strich mit der Hand über das Glas, und das Bild wurde zu einem trüben Glimmen.
    »Da hast du dich geirrt. Aber ich will dir ein Geheimnis verraten. Versprichst du mir, es niemandem zu erzählen? Gut. Nun, ich glaube nicht, dass Titania euch da rausschickt. Ich glaube, sie hat andere Pläne.« Jo lächelte und hüpfte auf die Tür zu. »Könnte allerdings sein, dass ihr euch dann wünscht, ihr wärt da draußen.«
    Ich blickte in die erloschene Kristallkugel. »Wir verlassen England?«
    Flucht. Flucht hinaus in die Welt. In eine bessere Welt, ganz bestimmt. Sie musste einfach besser sein! Oder wurde die ganze Welt von einer perversen Gottheit regiert? Ich würde eine Nachricht nach Hause schicken. Ganz sicher. Irgendwie. Damit sie wussten, dass alles in Ordnung war. Sobald ich einen Job hatte, konnte ich auf einen Datenanzug sparen. Virtuelle Realität war viel stilvoller als die Kombination aus

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