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Tote Mädchen

Tote Mädchen

Titel: Tote Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Calder
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in einem Alter für sich entdeckt hatte, als sie (was keinem Kind widerfahren dürfte) einer Verzweiflung anheimgefallen war, die über das rein Menschliche hinausging, bestand darin, dass sie lernte, mit sich im Reinen zu sein ‒ etwas, das England ihr hatte verwehren wollen. Sie fand kein menschliches Glück. Aber sie fand eine finstere Freude an dem Wissen, dass es einen Grund gab, weshalb sie und ihresgleichen auf Erden weilten. Um sie zu zerstören. Das war der Trost des Titanianismus.
    Ich musste daran denken, was Peter über die Geburt dieses seltsamen neuen Glaubens erzählt hatte ...
    Er war ein Narr gewesen, aus dem Seven Stars wegzulaufen; ein noch viel größerer Narr, seinem Vater davon zu erzählen. Aber Dr. Toxicophilous war zu krank gewesen, um das Bett zu verlassen. Für den Augenblick befand sich Titania in Sicherheit.
    Mehrere Nächte hindurch hatte er schlaflos in der Mitternachtshitze gelegen und gewartet. Und dann war sie gekommen, ein in Scharlachrot gekleidetes Kind, über ihrem Kopf eine Krone aus sieben Sternen. Durch sein Fenster und in die Nacht hinaus waren sie geflohen, bis in die Straßen des East End, die auch nachts noch von Leben erfüllt waren.
    In der Lagerhalle leuchteten Neonbuchstaben: Seven Stars , und darunter, etwas kleiner: Milchbar . Der Keller war renoviert worden und hatte jetzt eine Bar, eine Tanzfläche und eine Bühne zu bieten. Peter Gunn hieß sie grollend willkommen. Ein Pianola, das eine Notenrolle ausspie, lieferte die Basslinie; daneben presste ein Mädchen einem Saxophon die Melodie ab, während andere direkt vor ihr Trance tanzten.
    »Unser Lied!«, rief er.
    »Unser Planet!«, rief Titania. »Jedenfalls wird er das bald sein. Weißt du noch, wie wir diese Halle entdeckt haben? Lauter verbotene Ausflüge! Aber jetzt ist uns nichts mehr verboten.«
    Titania führte ihn an einen leeren Tisch.
    »Peter«, sagte sie, »ich werde dafür sorgen, dass es Wirklichkeit wird. Ich werde ihnen etwas geben, an das sie glauben können. Meine Mädchen ‒ sie werden stolz sein auf ihren kleinen grünen Stern. Und das Seven Stars soll ihr Tempel sein. Ich bin die Letzte, Peter. Die Letzte der Großen Schwestern. Ich muss sicherstellen, dass meine Töchter mir nachfolgen. L’Eve Future haben sie unsere Serie genannt. Aber ich werde Lilith sein ...« Sie nahm seine Hand und schob sie sich unter den Rock. Ihr Schamhügel war so kalt und glatt wie Marmor. »Ist das nicht genauso wie bei einer Puppe? Er wollte, dass wir geschlechtslos sind, dein unbezahlbarer Papa. Nicht wie diese billigen Importe aus dem Fernen Osten! Aber seine unterbewussten Gelüste haben uns zu Huren gemacht. Jungfräuliche Huren, für immer defloriert!«
    Ein eisiger Luftzug wehte durch den Keller. Die Kerzen flackerten und erloschen. In der Dunkelheit ertönte Geschrei und Gejohle. Aber die Musik spielte weiter, und die unerbittliche Basslinie fuhr ihm durch den Körper, ein Körper, der allmählich zu Eis wurde. »Hilf mir«, flüsterte sie, »hilf mir, einen menschlichen Schoß zu finden.«
    Vor dem Nachthimmel tanzte, gleich einem neuen Sternbild, eine Sternenkrone, schwebte herab und ließ sich zwischen seinen Oberschenkeln nieder. Er spürte die eisige Berührung von Lippen und Zunge, die ihn in eine kalte, schweigende Landschaft zogen ...
    Während unserer Rundgänge durch das Seven Stars sah ich aus den Augenwinkeln oder in einem bizarren Spiegelarrangement oft das manchmal nervöse, manchmal schuldbewusste, aber immer flehentliche Gesicht von Peter. Er sagte nie etwas; ich gab ihm nie die Gelegenheit dazu; wenn ich ihn bemerkte, führte ich Primavera stets wortlos durch das trügerische Netz des Palastes und tiefer in das Labyrinth aus Perspektiven hinein. Ich vertraute weder Peter noch seiner eloquenten Königin; auf mich wirkten beide wie intrigante Strippenzieher, doch für Primavera waren ihre Worte eine Offenbarung gewesen und hatten das Versprechen einer Wiedergeburt in sich getragen. Sie hätte es keinesfalls toleriert, wenn ich die Motive ihrer neuen Freunde infrage gestellt hätte. Also ließ ich meinen Argwohn ruhen. Titania und Peter hatten uns bei sich aufgenommen. Sie sagten, sie würden uns zur Flucht verhelfen. Und sie hatten Primavera glücklich gemacht. Das genügte mir.
    Flucht. Aber Flucht wohin? Was war das für eine Welt dort draußen?
    »Willst du das wirklich wissen?« Primavera war in die Palastkapelle gegangen, um für die Konfirmation gedrillt zu werden. Da Primavera und

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