Tote Männer Milch (German Edition)
versichert.
Isolde war nicht wohl bei der Sache, aber ihre Nachbarin war bereits zu Isoldes Baum geeilt, um die Leiter zu holen.
„Warten Sie!“, rief Isolde entsetzt, als sie sah, wie die Maibach mit dem vier Meter langen Holzgestell auf Isolde zuwankte.
„Das geht so nicht! Himmelherrgott noch mal! Sie können doch die Leiter nicht wie ein Tellerjongleur durch die Gegend balancieren!“
Die so Gescholtene machte keinerlei Anstalten zu widersprechen und war froh, dass Isolde ihr das Ding mehr oder weniger aus der Hand riss. Sie hielt es auch für besser in einem angemessenen Abstand Isolde dabei zuzuschauen, wie sie die unhandliche Konstruktion in die Waagerechte hievte, und für noch viel besser, ihr nicht dabei im Weg herumzulaufen, während sich Isolde mühselig durch den Garten quälte. Isolde schnaufte. Sie trug die Leiter in Brusthöhe, wagte es nicht, die Leiter abzusetzen, weil sonst ihre Blumen zu Schaden gekommen wären. Mit aller Kraft zwängte sie sich durch den Spalt, der mehr einem Nadelöhr entsprach. Widerspenstige Zweige pieksten ihr ins Gesicht und durch ihr Kleid. Sie hatte den Geschmack von Tannennadeln auf der Zunge. Die Maibach sah natürlich zu, wie sich ihre Nachbarin abmühte und fühlte sich nun doch zu helfen bemüßigt. Wenn schon nicht tatkräftig, dann doch zumindest vorbeugend. Lauernde Gefahren waren da ein willkommener Grund.
„Passen Sie bloß auf, Frau Bröse! Fallen Sie mir bloß nicht mit dem Ding in das Schwimmbecken“, rief sie, „das ist frisch gereinigt!“
Isolde hatte nicht verstanden, was ihr zugerufen wurde. Viel zu sehr war sie damit beschäftigt, die Leiter wieder in die Senkrechte zu wuchten, um sie unter das offene Fenster zu stellen.
„Fertig!“, keuchte sie erschöpft und tätschelte mit der Hand auf eine der Sprossen, als hätte sie soeben ein Pferd gesattelt.
Frau Maibach stand neben ihr und spähte die Leiter hinauf.
„Ziemlich hoch“, würgte sie hervor und schluckte.
„Halb so schlimm“, winkte Isolde ab. „Ich halte die Leiter fest. Da kann gar nichts passieren!“
„Ich kann nicht“, druckste Frau Maibach herum.
„Wieso?“
„Ich habe Höhenangst.“
„Das ist ein Scherz?“, entgegnete Isolde, aber sie bemerkte, wie sich die Schweißperlen auf Maibachs Stirn zu einem Rinnsal sammelten.
„Außerdem“, fuhr die Maibach fort, „habe ich Angst, dass die Streben bei meinem Gewicht brechen.“
„Unsinn“, versicherte Isolde und rüttelte probehalber an einer der Sprossen, „die sind stabil, die würden sogar eine Hirschkuh aushalten.“
„Eine Hirschkuh, soso...“, wiederholte Frau Maibach gekränkt.
„Das war nicht persönlich gemeint“, versicherte Isolde.
Ein paar Atemzüge blickten die beiden Frauen unentschlossen zum offenen Fenster hinauf. Die Maibach mit verschränkten Armen vor der Brust, Isolde beide Hände in die Hüften gestemmt.
„Außerdem habe ich ein künstliches Hüftgelenk.“ Maibachs Stimme klang trotzig, wie von einem Kind, das sich weigert, am Sportunterricht teilzunehmen.
In Isoldes Kopfkino wurden die Vorhänge aufgerissen und im Schnelldurchlauf ein Zusammenschnitt der temperamentvollsten Sexszenen jener Gewitternacht heruntergespult.
„...und dann doch noch so beweglich“, entfuhr es Isolde.
„Aber bestimmt nicht so gelenkig wie Sie!“
„Nun gut.“ Isolde nahm die Herausforderung an und klatschte tatkräftig in ihre Hände.
Viel waghalsiger als sie es sonst getan hätte, kletterte sie die Leiter hinauf. Warum, wusste sie genau. Geltungsbedürfnis, hieß das verführerische Verlangen, das Isolde plötzlich verspürte. Vielleicht war es ganz gut, dass Isolde, während sie die Leiter hinaufhechtete, nicht auch noch einen Blick auf ihre Herausforderin riskierte, denn dann hätte sie bemerkt, dass ihre Nachbarin weder ihre Leiter festhielt noch ihre Kletterkünste bewunderte, sondern gemütlich auf die Eingangstür ihres Hauses zuschlenderte.
Isolde schob die Fensterflügel weiter auf, ertastete mit dem linken Fuß das Fensterbrett und sprang in das Zimmer hinein. Sie staunte nicht schlecht, als sie das ebenholzfarbene Baldachinbett erblickte, das wie ein Koloss das Schlafzimmer dominierte und die schwermütige Intimsphäre eines sittenstrengen Kardinals verströmte.
„Gründerzeit“, stellte Isolde fachmännisch fest und rüttelte an den wuchtigen Pfosten, die sich wie Marterpfähle empor streckten und den Betthimmel stützten. Interessiert begutachtete sie die Schnitzereien, die
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