Tote Männer Milch (German Edition)
in den Pfosten eingearbeitet waren und befühlte die schwere Brokatdecke, die wie ein kostbarer Teppich auf dem Bett lag. Am liebsten hätte sie eine Liegeprobe gemacht, aber die Zeit drängte. Bestimmt stand die Eigentümerin schon vor der Haustür. Isolde eilte zur Tür hinaus. Sah sich kurz um und lief die Treppe hinab, die direkt in das geräumige Wohnzimmer führte. Sie sah das Klavier, den Kamin, moderne Plastiken, Gemälde, die an der Wand lehnten, und sie sah das Corpus Delicti, den Fleck an der Wand.
„Alles gut gegangen?“, fragte die Maibach, als ihr die Nachbarin den Weg ins eigene Haus öffnete.
„Was war das?“, Isolde hörte ein leises Winseln.
„Was?“
„Hören Sie das nicht?“
„Ach so, ja, das ist der Hund ... das kommt von draußen...“, erklärte die Maibach, irgendwie etwas falsch. „Moment, ich komme gleich wieder.“
Ach du Schreck, jetzt wirft sie den Hund wahrscheinlich aus dem Fenster, nur damit ich ihr nicht auf die Schliche komme, dachte Isolde und ärgerte sich, dass sie das Jaulen nicht höflichkeitshalber überhört hatte. Neugierig behielt sie die Tür im Auge, durch die ihre Nachbarin verschwunden war und von wo aus das Geräusch zu kommen schien. Es erschien Isolde wie eine Ewigkeit, bis die Frau wieder auftauchte. Als wäre sie aus einer Tapetentür geschlüpft, stand sie überraschend neben ihr. Aufgedonnert, wie Isolde nicht ohne Neid feststellte. Statt des schwarzen Kimonos trug sie ein dottergelbes Flatterkleid, goldene Pantoletten, und von der verwischten Wimperntusche war auch nichts mehr zu sehen.
Isolde betrachtete ihre Nachbarin, die mit ihrem weit schwingenden Minikleidchen und auf hohen Hacken durchs Wohnzimmer flanierte.
Dann wandte sich Isolde den zahlreichen Umzugskartons zu, die überall herumstanden.
„Da steht Ihnen aber noch einiges an Arbeit bevor. Die Kartons müssen ja alle noch ausgeräumt werden.“
„Ausgeräumt?“, fragte die Maibach fast empört zurück und rollte in gespielter Verzweiflung ihre schwarzen Knopfaugen.
„Die Kartons müssen erst mal richtig sortiert werden. Die verdammten Möbelpacker haben alles in die falschen Räume geschafft. Schauen Sie!“
Isolde folgte dem pfeilspitzenroten Finger, der auf einen beträchtlichen Stapel Kartons zielte.
„Da sind Bücher drin, die müssen ins obere Stockwerk. Die einen da“, ihr Finger zeigte auf den unteren Stapel, „müssen in die Bibliothek und die anderen“, ihr Finger schnipste Richtung Zimmerdecke, „die müssen in das Arbeitszimmer meines Mannes. Das bleibt natürlich jetzt alles an mir hängen“, fuhr sie verärgert fort. „Wenn mein Mann nach Hause kommt, interessiert der sich für überhaupt nichts mehr. Für den Herrn Doktor ist das ja alles nur Weiberkram.“
„Also ist Ihr Gatte Arzt?“, vergewisserte sich Isolde.
„Ja, Orthopäde, um genau zu sein. Also, wenn Sie mal eine Prothese brauchen...“, zwinkerte Frau „Doktor“ Maibach Isolde verschwörerisch zu.
„Danke, ist nicht nötig“, lehnte Isolde ab. „Bis jetzt fühle ich mich noch topfit.“
„Das hat nichts mit dem Alter zu tun. Das sehen Sie ja an mir. Ich bin viel jünger als Sie und habe bereits die Dienste meines Mannes in Anspruch nehmen müssen – ein Sportunfall, so schnell kann’s gehen.“
„Wie alt oder, Entschuldigung, wie jung sind Sie denn?“ , fragte Isolde.
„Neunundvierzigeinhalb!“
„Ich auch“, entgegnete Isolde ungefragt.
„Oh, da habe ich mich wohl reichlich verschätzt“, schnippte die Maibach halbwegs betreten.
„Schon gut“, winkte Isolde ab.
„Nun ja, dann werde ich mich mal an die Arbeit machen“, seufzte Frau Maibach bedeutungsschwer, während sie mit zögerlichem Interesse auf die Kartons schielte.
„Das ist doch eine Arbeit von zehn Minuten“, ermutigte Isolde.
„Sie wissen wohl nicht, wie schwer Bücher sind?“
„Und ob!“, widersprach Isolde lachend. „Was glauben Sie denn, wie viel Bücher ich in meinem Leben schon geschleppt habe.“
„Ach, arbeiten Sie in einer Druckerei?“
„Nein, ich bin gelernte Bibliothekarin“, stellte Isolde richtig und schmunzelte selbstbewusst.
„Schön, dann sind Sie sicher ein sehr belesener Mensch.“
„In der Tat.“ Isolde war geschmeichelt.
„Wo arbeiten Sie denn? Vielleicht komme ich Sie mal besuchen, auf eine Tasse Kaffee vielleicht.“
„Also früher habe ich in der Staatsbibliothek in München gearbeitet“, holte Isolde lebhaft aus, „dann habe ich selbstständig ein
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