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Tote Pracht

Tote Pracht

Titel: Tote Pracht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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über die Vorgänge der
vergangenen Nacht nachzugrübeln, beschäftigte ich mich mit den anderen Akten:
ich führte Telefonate, überprüfte Angaben von allen Seiten. Als mein Telefon
zum ersten Mal an diesem Morgen läutete, stellte ich mit Erstaunen fest, daß es
schon fast zehn war.
    »Tracy Miller auf drei«, sagte Ted.
    »Danke.« Tracy ist meine Freundin bei
der Zulassungsstelle, die — als Gegenleistung für Einladungen zum Mittag- oder
Abendessen und zu gelegentlichen Theater- oder Konzertbesuchen — den
Amtsschimmel umgeht, indem sie für mich Namen durch ihren Computer laufen läßt.
Ich drückte auf den leuchtenden Knopf.
    »Hallo, wie geht’s?«
    »Besser als dir, da bin ich sicher. Da
bist du gestern abend ja in ganz schön was reingeraten.«
    Der Chronicle war an diesem
Morgen voll von Berichten über die wahrscheinlich fünfte Tat des
Heckenschützen. Willies Bild sprang den Lesern schon auf der ersten Seite ins
Auge. »Das kann man wohl sagen. Ich erzähl’ dir alles, wenn wir uns das nächste
Mal sehen.«
    »Gut. Hör zu, deine Assistentin spricht
gerade auf der anderen Leitung, und da ich weiß, daß diese Information für dich
bestimmt ist, wollte ich sie dir gleich direkt durchgeben. Wir haben keine
Eintragung für David Arlen Taylor, weder Führerschein noch Fahrzeugzulassung.
Aber ich habe die Adresse von Libby Heikkinen Ross gefunden. Eine Postleitzahl
in Inverness drüben in West Marin, und eine Adresse in der dortigen Pierce
Point Road.«
    Ich notierte mir beides und erinnerte
Tracy, daß ich ihr noch ein Abendessen schuldete. Sie versprach, einen Blick
auf ihren Kalender zu werfen und mich am Wochenende zurückzurufen. Nachdem ich
aufgelegt hatte, drehte ich mich zum Fenster und blickte auf graue
Nebelschwaden, die alles einhüllten.
    Ich kannte Inverness, mehr oder
weniger. Es war ein pittoreskes Städtchen mit nicht mehr als ein paar Hundert
Einwohnern. Der Ort lag zwischen den bewaldeten Hügeln und dem Moor von Tomales
Bay, unweit vom Point Reyes National Seashore. Eine seiner Hauptattraktionen
war ein tschechisches Restaurant, in dem ein früherer Freund und ich während
eines Regengusses an einem längst vergangenen Oktoberabend Zuflucht gesucht
hatten. Wir wärmten uns am Holzofen und tranken mit dem Besitzer Sliwowitz. In
einem Ort wie Inverness konnte es nicht schwer sein, Libby Heikkinen Ross zu finden.
    Ich drehte mich wieder um und wählte
Raes Nebenstelle. Als sie abhob, fragte ich: »Wie geht es Willie heute?«
    »Ich habe gerade mit ihm gesprochen. Er
ist so begeistert von seinem neuen Ruhm, daß er sogar vergessen hat, daß ihm
sein Kiefer weh tut. Der Sender KPIX schickt jemanden vorbei, um ihn für die
Sechs-Uhr-Nachrichten zu interviewen. Ich glaube, er rechnet damit, fürs
Fernsehen entdeckt zu werden.«
    »Hoffentlich schwillt ihm der Kamm
nicht noch mehr. Hör mal, ich habe eine Adresse von Ross in West Marin, ich
werde also den größten Teil des Tages unterwegs sein. Über Taylor hatten sie
nichts, aber du brauchst vorerst die anderen Meldebehörden noch nicht zu
überprüfen; es kann ja sein, daß Ross weiß, wo er sich aufhält.«
    »Das heißt, ich halte dann hier die
Stellung.« Rae schien enttäuscht zu sein.
    »Nur eine Weile. Du mußt noch die
Vergangenheit von einem von Larrys Mandanten überprüfen. Ich habe schon damit
angefangen. Und dann haben wir einen Beschattungsauftrag; das geht gegen mittag
los, wenn der Betreffende seine Schicht in Lloyd’s Spirituosenhandlung antritt.
Ich leg dir die Akten auf den Tisch, wenn ich weggehe.«
    »Einen Beschattungsauftrag? Für mich?« Nun klang sie hocherfreut.
    Ich wußte, was sie fühlte. Die
Aussicht, nach West Marin zu fahren, hatte auch meine Laune beträchtlich
gehoben.
     
     
     

9
     
    Der Westen von Marin County ist eine
eigene Welt, ein phantastisch schöner Küstenstreifen und eine herrliche
Landschaft, die bisher von den Verheerungen durch Industriewachstum,
Überbevölkerung und Fremdenverkehr noch unberührt geblieben ist. Das liegt
größtenteils am Wetter, das hier oft neblig und kalt ist. Aber auch die
Wirtschaftsflaute, der Mangel an Arbeitsplätzen und die lange, beschwerliche
Fahrt über die Berghügel, die West Marin vom restlichen Verwaltungsbezirk
trennen, sind für die relative Unberührtheit verantwortlich. Etwa sechzig große
Bauernhöfe mit Milchwirtschaft stellen sicher, daß ein guter Teil des Landes
auch weiterhin landwirtschaftlich genutzt wird. Der Point Reyes

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