Tote Pracht
meistens
kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, daß er recht hat.
Ich blieb an seinem Schreibtisch
stehen. Nach einer Weile nahm Ted seine langen Finger von den Tasten und ließ
sie in den Schoß sinken. »Also gut, was ist?«
»Das mit Harry tut mir leid, und ich
bin für dich da, wenn du mich brauchst.«
Er nickte, schloß für einen Augenblick
die Augen und preßte die Lippen aufeinander. Trotz der anglisierten Version
seines Namens ist Ted ein schlanker junger Mann russisch-jüdischer Herkunft,
mit kurzen schwarzen Haaren und einem Spitzbart. Seine asketischen Züge erinnern
mich eher an einen Dichter oder einen Komponisten als an einen tüchtigen und
engagierten Anwaltssekretär. An diesem Morgen war sein feines Gesicht vom
Schmerz geprägt; seine Haut wirkte wächsern und durchsichtig, so als ob er
nicht genug geschlafen habe.
Ich ging um seinen Schreibtisch herum
und wollte ihn eigentlich nur kurz umarmen, doch plötzlich ergriff mich Panik,
und ich klammerte mich an seine Schultern. Was wäre, wenn Ted sich auch mit
Aids infizierte? Wie könnten wir das ertragen?
Er schien meine Angst zu spüren, denn
er tätschelte meinen Arm — der Trauernde spendet dem Tröster Trost — und sagte:
»Mach’ dir keine Sorgen. Ich werde deine telefonischen Nachrichten noch
verstümmeln, wenn wir beide alt und grau sind.«
»Wenigstens wirst du dann eine gute
Ausrede haben.« Ich ließ ihn los und eilte nach oben.
Mein Büro liegt im vorderen Teil des
ersten Stockes — ein großer Raum mit einem Kamin und einem Erkerfenster, aus
dem man auf das gleichförmige Häusermeer von Outer Mission hinunterschaut. Ich
setzte meine Tasche und meinen Aktenkoffer auf dem neuen rosafarbenen Sofa ab,
das vor kurzem meinen schäbigen alten Lehnstuhl ersetzt hatte. Dann zog ich
meine Jacke aus und warf sie auch dorthin. Eigentlich war das Sofa angeschafft
worden, damit ich mich hinlegen und entspannen konnte, wenn ich über schwierige
Fälle nachzudenken hatte. Meistens stapelte ich dort aber Sachen. Im Augenblick
lagen noch eine Aktenkiste, ein Kassettenrecorder und meine Kamera auf dem
Sofa.
Ich ging zum Schreibtisch, der im Erker
stand, und wollte gerade Hank anrufen, als mir einfiel, daß er bis mittag bei
Gericht war. »Mist!« murmelte ich. Ich wollte so dringend mit ihm sprechen.
Am Abend, bevor ich seine Wohnung
verlassen hatte, hatte ich Hank gefragt, ob er glaube, der Mordversuch habe ihm
als Hilderlys Anwalt gegolten, daß man Willie in der Dunkelheit mit ihm
verwechselt habe. Vielleicht gab es doch eine Verbindung zwischen Hilderlys
Ermordung und seiner Testamentsänderung; vielleicht glaubte der Schütze, daß
Hank mehr über Hilderlys Motive wußte, als es tatsächlich der Fall war.
Aber Hank hatte eine solche Möglichkeit
energisch bestritten. Es sei Zufall, daß der Schütze gerade bei ihm
zugeschlagen habe. Welche Verbindung sollte denn zwischen den anderen Opfern
und Hilderly bestehen.
Mit diesem Einwand hatte er recht, aber
er überzeugte mich nicht. Ich vermutete, daß Hank nur deshalb darauf beharrte,
alles wäre blinder Zufall, um nicht über die furchterregenden Aspekte eines
Falles nachdenken zu müssen, der als einfache Testamentsvollstreckung
angefangen hatte. Ich hätte ihn gerne gefragt, ob er im klaren Morgenlicht
immer noch von der Richtigkeit seiner Ansicht überzeugt war.
Nach einer Weile hörte ich mit der
Grübelei auf und kramte ein paar Akten heraus, die seit Freitag in meinem Eingangskorb
gelandet waren: Überprüfungen von zwei Stellenbewerbern für eine kleine Firma
für Personen- und Sachschutz, die von Larry Koslowski, unserem
Gesundheitsapostel, vertreten wurde; ein Beschattungsauftrag von einem
Spirituosenvertrieb, wo ein Angestellter im Verdacht stand, Waren gestohlen und
weiterverkauft zu haben, eine Liste mit noch zu klärenden Fragen zu einem
Betriebsunfall in einer chemischen Reinigung. Ich legte den Beschattungsauftrag
für Rae zur Seite. Sie kam gern mal raus, aber die meisten ihrer
Routineaufgaben ließen dies nicht zu; hier hatte sie Gelegenheit, einmal die
Flügel auszubreiten. Dann versuchte ich, Gene Carver, Hilderlys ehemaligen Chef
bei der Tax Management Corporation, anzurufen, um ihm einige Fragen zu stellen
zu dem Seminar, an dem Hilderly im Mai teilgenommen hatte und das, laut Aussage
seines Sohnes, sein Leben so vollkommen verändert hatte. Carver war jedoch
nicht in der Stadt; seine Sekretärin versprach, daß er Ende der Woche
zurückrufen werde.
Um nicht
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