Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tote Pracht

Tote Pracht

Titel: Tote Pracht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
Vom Netzwerk:
Grillrestaurant und ein eigenartiges Haus mit Türmchen,
die mich an eine griechisch-orthodoxe Kirche erinnerten. Dann begann sich die
Straße durch einen Nadelwald in die Höhe zu schlängeln; als ich aus einer Kurve
herausfuhr, mußte ich um zwei Jogger einen Haken schlagen. Kurz darauf, nach
dem Hinweisschild auf den Point Reyes National Seashore, gabelte sich die
Straße; Pierce Point schwenkte nach rechts, in Richtung McClure’s Strand.
    Innerhalb weniger Kilometer gingen die
Berge in ebenes Weideland über. Kühe standen in Gruppen zusammen oder starrten
durch den Zaun dumm auf die Straße. Die Vegetation wurde karger — gelber
Stechginster und blühende Disteln herrschten vor. Das Land erstreckte sich zu
den Klippen hin, die über das ferne Meer und die Bucht hinwegsahen. Die Öde
wurde nur von ein paar Bauernhöfen unterbrochen. Wenngleich ich einigen
Radfahrern und mehreren anderen Autos begegnet war, war die Trostlosigkeit
überwältigend und drückte auf meine Stimmung; ich fragte mich, wie es hier wohl
in einer dunklen, mondlosen Nacht aussehen mochte.
    Nachdem ich knapp sechs Kilometer
zurückgelegt hatte, erreichte ich eine scharfe Kurve und hatte zum ersten Mal
einen offenen Blick auf den Pazifik, wo die Wellen sich am Sandstrand brachen.
Ein Altwasser, das jetzt zur Zeit der Ebbe vom Meer abgeschnitten war, zog sich
ins Land hinein. In seiner regungslosen Oberfläche spiegelte sich der düstere
Himmel. Abbotts Lagune, nahm ich an.
    Ich kam aus der Haarnadelkurve heraus
und fuhr auf einen Aussichtsplatz. Unter mir brach das Land zuerst steil, dann
sanfter zur Lagune hin ab. In einer Senke zwischen zwei mit Zypressen
bestandenen Hügeln lagen ein paar Gebäude — weiß und von meinem Blickwinkel aus
klein wie Spielzeug. Ich fuhr noch ein paar Meter weiter, bis ich auf ein
verwittertes Schild mit der Aufschrift ›Moon-Ridge-Stall‹ stieß. Ein
ausgefahrener Schotterweg führte durch das Weideland.
    Ich folgte ihm, wobei ich mich bemühte,
die großen Schlaglöcher zu umfahren. Als ich mich dem ersten Zypressenhain
näherte, sah ich ein langes, niedriges Gebäude, das sich unter den Bäumen
duckte und dessen Anstrich den Naturgewalten nicht standgehalten hatte. Der Weg
führte weiter durch Weideland und erreichte dann eine Koppel, wo ein halbes
Dutzend scheckige Pferde dicht zusammengedrängt vor einem leeren Trog stand;
dahinter befand sich eine verwitterte Scheune und verschiedene andere
Nebengebäude. Zwei warm eingepackte Reiter bestiegen vor der Scheunentür gerade
zwei Schecken. Neben einem kauerte eine Frau und überprüfte den Sitz des Sattelgurts.
Als sie mein Auto hörte, schaute sie kurz über die Schulter und setzte dann
ihre Arbeit fort. Ich konnte nur ihr langes, lockiges, dunkelblondes Haar
erkennen.
    Ich parkte den MG neben dem Koppelzaun.
Als ich ausstieg, schlug mir selbst an dieser geschützten Stelle ein heftiger,
bitterkalter Wind entgegen. Die Frau richtete sich auf und wischte sich die
Handflächen an den Schenkeln ihrer verwaschenen Jeans ab. Nachdem sie noch ein
paar Worte mit ihr gewechselt hatten, machten sich die Reiter auf zu einem Weg,
der sich unter den Bäumen in Richtung Lagune schlängelte.
    Die Frau wandte sich um und kam mit
langen, athletischen Schritten auf mich zu. Sie war groß und schlank, mit einem
üppigen Mund und auffallend violetten Augen. Obwohl sie erst um die Vierzig
war, war ihre Haut so verwittert wie der Anstrich der Scheune. Aber die Linien
und Furchen machten ihr sonst eher langweiliges Gesicht auf eine eigenartige
Weise anziehend.
    »Hallo«, rief sie mit rauher Stimme.
»Was kann ich für Sie tun?«
    Ich ging um den MG herum. »Ich suche
Libby Heikkinen Ross.«
    Ihr Schritt verlangsamte sich, sie war
auf der Hut. »Das bin ich.«
    »Sind Sie die Besitzerin?« Ich deutete
auf die Umgebung.
    »Besitzerin und einzige Angestellte, es
sei denn, Sie zählen meinen nutzlosen Stiefsohn und den Helfer, der die Ställe
saubermacht.« Ihr Ton war freundlich, aber vorsichtig. Sie blieb stehen und
verschränkte die Arme über ihrer blauen Daunenjacke.
    Ich ging zu ihr hin und gab ihr eine
meiner Visitenkarten. Sie studierte sie und fragte mit tonloser Stimme: »Geht
es um Dick?«
    »Dick?«
    »Meinen Stiefsohn, diesen elenden
Halunken.«
    »Nein.« Plötzlich fegte ein kalter
Windstoß von dem Hügel hinter uns herunter und riß meine Jacke auf. »Können wir
irgendwo reden, wo es wärmer ist?«
    Sie nickte kurz und führte mich zur
Scheune. An einem Ende

Weitere Kostenlose Bücher