Tote Pracht
gab es einen Schuppen — einen Sattelraum. An drei Seiten
waren Sättel an Pflöcken aufgehängt, Halfter und Zaumzeug hingen an darüber
angebrachten Haken. Jeder war mit dem Namen eines Pferdes beschriftet: Chaucer,
Shakespeare, Dickens, Molière. Ross hatte offensichtlich eine literarische
Ader.
Entlang der Wand neben der Tür verlief
eine Bank; in die Ecke hatte man einen Schreibtisch gepfropft. Ross schob einen
Haufen Satteldecken von der Bank, so daß ich mich setzen konnte. Eine
Schildpattkatze, die hinter den Decken geschlafen hatte, schaute etwas
verärgert auf.
Während ich mich setzte, nahm sich Ross
den Schreibtischstuhl und legte die Füße, die in Turnschuhen steckten, auf die
Schreibtischunterlage. Die Katze erkannte die Katzenliebhaberin und sprang auf
meinen Schoß. Sie rollte sich zu einer Kugel zusammen, und sofort sprang der
Schnurrmotor an. Ich streichelte sie, wobei ich mich nicht ganz wohl fühlte — ich
wollte das tröstliche Gefühl, eine Katze auf dem Schoß zu haben, nicht wieder
erwachen lassen.
»Also, um was geht es?« fragte Ross.
»Kennen Sie einen Mann namens Perry
Hilderly?«
Ihre Reaktion war ganz anders als die
von Goodhue oder Grant. Ihr Gesicht drückte Überraschung und eine bittersüße
Freude aus. »Ja«, sagte sie lebhaft. »Was ist mit ihm?«
»Er starb letzten Monat.«
Der erfreute Ausdruck verschwand. »...Das
wußte ich nicht. Wie?«
»Er wurde in San Francisco von einem
Heckenschützen getötet. Haben Sie denn über diese Mordserie nichts in der
Zeitung gelesen oder im Fernsehen gesehen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe
keinen Fernseher und auch keine Zeitung. Das klingt heutzutage wahrscheinlich
komisch, aber als ich hierherkam, wollte ich mir die übrige Welt vom Leib
halten. Bisher ist mir das ganz gut gelungen.«
»Warum?«
Sie sagte nichts und betrachtete nur
ihre kurz geschnittenen Fingernägel. Schließlich zuckte sie die Achseln. »Es
ist nichts als Leid in der Welt. Mein Mann und ich haben uns hier auf der Ranch
ein sicheres Nest gebaut. Nun, da er nicht mehr ist, schätzte ich es um so
mehr.«
Ich fragte mich, was sie wohl so
verletzt haben mochte, aber fürchtete, daß sie sich zurückziehen würde, wenn
ich sie fragte. »Ich verstehe. Nun, der Grund für meinen Besuch ist folgender:
Kurz bevor Perry Hilderly starb, hat er ihnen ein Viertel seines Vermögens
vermacht — etwa eine viertel Million Dollar.«
Sie schaute auf, ihre violetten Augen
weiteten sich. »Warum?«
»Ich weiß es nicht. Können Sie diese
Frage nicht beantworten?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Miss Ross, kennen Sie Thomas Y.
Grant?«
»Wen? Nein, der Name sagt mir nichts.«
»Und Jess Goodhue?«
»Nein.«
»Jenny Ruhl?«
Sie nahm die Füße vom Tisch und
umklammerte die Armlehnen, als ob sie sich selbst am Aufspringen hindern müsse.
»Jenny... Jenny ist schon seit Jahren tot.«
»Ja, aber ihre Tochter lebt — Jess
Goodhue.«
»Ich erinnere mich, daß sie ein Kind
hatte, Jessica. Woher hat sie diesen Familiennamen?«
»Sie wurde adoptiert. Jess Goodhue
wurde auch in Hilderlys Testament bedacht, ebenso wie Tom Grant. Goodhue
glaubt, daß Hilderly vielleicht ihr Vater war.«
Ross’ Lippen verzogen sich zu einem
eigenartigen Lächeln — verzerrt und bitter. »Ich kann Ihnen versichern, daß er
es nicht war. Ganz sicher nicht.«
»Wer war es dann?«
Sie zögerte. »Ich kann nur sagen, daß
es nicht Perry war.«
»Aber Sie wollen nicht sagen, warum Sie
so sicher sind?«
»Nein.«
»In welcher Beziehung standen Sie zu
Hilderly und Jenny Ruhl?«
Wieder langes Schweigen. »Jenny und ich
gingen miteinander zur Schule. Perry und ich — das ist auch eine alte Geschichte.
Aber ich habe seit Jahren nichts mehr von ihm gehört, und es überrascht mich,
daß er mich in seinem Testament bedachte.« Sie sah sich in dem schäbigen,
zugigen Sattelraum um. »Nicht, daß ich es nicht brauchen könnte. Seit Glens Tod
kann ich mich gerade so über Wasser halten.«
»Glen war ihr Mann?«
Sie nickte. »Vielleicht haben Sie von
ihm gehört — er spielte früher für die Rams Football?«
Ich schüttelte den Kopf.
Ross seufzte. »Na ja, das ist lange
her. Als er jung war, lebte Glen in Saus und Braus — er machte einige Leute
unglücklich, verlor viel Geld und verpatzte seine Karriere. Dann packte er, was
ihm noch blieb, und suchte hier in der Gegend ein Grundstück. Ich lernte ihn
kennen, als ich in einem Immobilienbüro in Tomales arbeitete. Wir haben uns hier
draußen
Weitere Kostenlose Bücher