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Tote Pracht

Tote Pracht

Titel: Tote Pracht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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National
Seashore-Naturpark und das Golden-Gate-Erholungsgebiet sind eine weitere Gewähr
dafür, daß große Gebiete so bleiben wie zu jener Zeit im frühen neunzehnten
Jahrhundert, als die Miwok-Indianer vor den Übergriffen der Spanier über diese
Ebenen zogen.
    Bis jetzt kenne ich West Marin nur aus
touristischer Perspektive: Picknicks am Strand, eine Besichtigung des
Leuchtturms von Point Reyes, Austern in Nick’s Cove, sonntägliche Fahrten auf
ländlichen Straßen durch die bäuerliche Landschaft und — natürlich — das
tschechische Restaurant. Ich habe sogar einmal im Olema Inn übernachtet, einer
ehemaligen Postkutschenstation in einem Dorf mit weniger als einhundert
Einwohnern. Aber im großen und ganzen stammte mein Wissen über die Gegend aus
Zeitungsberichten und dem Kurs in kalifornischer Geschichte, den alle Schüler
an öffentlichen Schulen vor ihrem Abschluß über sich ergehen lassen müssen. Ich
hatte zwar Erzählungen über Engstirnigkeit und gelegentliche Feindseligkeit
gegenüber Fremden aus dem Osten gehört, aber noch keine eigenen Erfahrungen
gemacht oder wirklichen persönlichen Kontakt mit den Bewohnern gehabt.
    An diesem Tag fuhr ich also auf der
Landstraße, die sich am White’s Hill bis über Fairfax hinaus entlangzieht. Die
Landschaft bestand aus sanften Hügeln, auf denen sich in Abständen graue Felsen
wie Grenzmale über dem sonnengebleichten Gras erhoben. Knorrige Eichen drängten
sich in den Senken oder standen allein an den Hügeln, vom Wind gebeugt. Bei
Olema kreuzte die Straße die Autobahn, die entlang der Küste verlief, und ging weiter
in Richtung Inverness.
    Die Autobahn führte an den Sümpfen am
südöstlichen Ende der Tomales Bay vorbei. Während es im eigentlichen Marin
sonnig und warm gewesen war, hing hier noch dichter Nebel über dem Seegras; er
lauerte in den Senken der bewaldeten Hügel, und ich roch den Holzrauch von den
Kaminen der Häuser, die ab und zu durch das Blattwerk zu sehen waren. Die
Roßkastanien standen in voller rosa Blüte, und entlang der Straße wuchsen
Wildblumen und weißer Anis. Hier und dort waren Gebäude sichtbar — ein
Lebensmittelgeschäft, ein Töpferladen, die allgegenwärtigen
Antiquitätengeschäfte und Immobilienmakler. Ein Schild zeigte ein
Naturschutzgebiet für Salzsumpflebewesen an; als ich hinüberschaute, entdeckte
ich drei weiße, langhalsige Kraniche, die regungslos im Schilf standen.
    Nach einigen Kilometern erreichte ich
das eigentliche Inverness: ein Postamt, das sich ein hellblaues viktorianisches
Gebäude mit einer Pizzeria teilte; das tschechische Restaurant und ein paar
andere Gaststätten; einige Läden, die hauptsächlich die Bedürfnisse der
Touristen befriedigen sollten; eine Chevron-Tankstelle. Ich fuhr an die
Tankstelle heran, stieg aus und entdeckte einen Mann in einer schweren,
karierten Jacke, der ratlos unter die Motorhaube eines verbeulten Hondas
starrte. An die Batterie des Autos waren zwar Kabel angelegt, aber auf der
Anzeige des Ladegerätes passierte nichts. Der Mann wandte sich mit einem
entmutigten Achselzucken ab und sah mich.
    »Kann ich etwas für Sie tun?«
    »Ich denke schon.« Ich hielt ihm ein
Stück Papier hin, auf dem ich die Adresse von Libby Ross notiert hatte. »Können
Sie mir sagen, wie ich da hinkomme?«
    Er studierte es mit gerunzelter Stirn.
»Wir gehen hier nicht so sehr nach Hausnummern. Wen suchen Sie denn?«
    »Libby Ross.«
    Er lächelte; nach dem Leuchten in
seinen Augen zu urteilen, mochte er die Frau. »Sie suchen den Moon-Ridge-Stall.
Bleiben Sie hier auf der Hauptstraße, folgen Sie ihr am Meer entlang und den
Hügel hinauf, über den Wegweiser zum Strand hinaus. Ein Stück danach gabelt sich
die Straße; Sie halten sich rechts — das ist Pierce Point. Libbys Haus ist
gleich auf dieser Seite von Abbotts Lagune — sechs, vielleicht sieben
Kilometer. Es ist ein großes Anwesen in einer Senke, ganz umgeben mit
Zypressen.«
    »Was ist es denn — ein Reitstall?«
    »So was in der Art. Libby vermietet
Pferde an Touristen und macht Strandausflüge mit Reitergruppen.« Auf seinem
Gesicht zeigte sich kleinstädtische Neugier. »Sie kennen sie nicht persönlich?«
    »Noch nicht. Vielen Dank für die
Wegbeschreibung.« Ich lächelte ihm zu und ging zu meinem MG zurück.
    Ich fuhr die Straße nach seinen
Anweisungen hinunter. Ich hielt mich nahe am Ufer, wo Hütten mit langen Docks
standen, die in das graue, bewegte Wasser hineinreichten. Ich sah ein Motel,
einen Yachtclub, ein

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