Tote Pracht
Gefühl, verfolgt zu werden, zu erwähnen. Das vertrug sich
wohl nicht mit seinem Machoimage.
Schließlich sagte ich: »Willie, erzähl
ihm, was du mir gesagt hast.«
Greg warf mir einen Blick zu, seine
Augen verengten sich.
»Ich habe versprochen, euch nicht zu
unterbrechen, und das tue ich auch nicht — keiner von euch hat gerade
gesprochen. Außerdem ist es wichtig. Sag es ihm, Willie.«
Willie seufzte und wiederholte, was er
mir erzählt hatte.
Greg spielte nachdenklich mit seinem
Kugelschreiber. Es war ein goldener Cross-Kugelschreiber, den ich ihm zu
unserem ersten gemeinsamen Weihnachtsfest geschenkt hatte. Die Tatsache, daß er
ihn immer noch benutzte, rührte mich.
Schließlich sagte er: »Unseres Wissens
ist es das erste Mal, daß der Schütze sein Ziel verfehlt hat. Sofern die
Person, die auf Willie geschossen hat, auch die anderen Morde verübt hat. Ich
frage mich, ob die vier anderen Opfer sich auch verfolgt fühlten.«
»Wenn jemand sie tatsächlich verfolgt
hat«, sagte ich, »was wird dann aus der Theorie, daß der Schütze seine Opfer
willkürlich auswählt?«
Er zuckte die Achseln. »Kann sein, daß
er sich sein Opfer aussucht und dann auf eine günstige Gelegenheit wartet.«
»Und vielleicht hat er auch ein Motiv —
wie irrational auch immer — für die Wahl seiner Opfer.«
»Das wäre mir lieber. Dann hätten wir
es leichter.«
Willie sah ihn finster an. »Und wenn er
es noch mal versucht?«
»Wir stellen einen Wachposten vor Ihre
Wohnung.«
»Ich kann nicht den Rest meines Lebens
zu Hause verbringen!«
»Willie, wir tun, was wir können. Aber
im Augenblick kann ich Ihnen auch nicht mehr versprechen.«
Willie nickte und stand auf, immer noch
mit finsterer Miene. Die Art, wie er aus dem Zimmer schritt, machte deutlich,
daß er Gregs Einstellung als zu lässig empfand.
»Wo warst du, als der Schuß fiel?«
fragte Greg.
»Oben, im Gang.«
»Und du warst als erste auf der Straße,
nehme ich an.«
»Wenn du Rae nicht mitzählst. Sie war
an der Ecke, als es passierte. Sie holte gerade ihr Auto. Sie hat nichts
gesehen. Sagt sie.«
»Und du?«
»Ich auch nicht. Aber als ich gegen
zehn Uhr hier ankam, hatte ich das gleiche Gefühl wie Willie; als ob ich
beobachtet würde. Und Hank sagt, er habe letzte Woche vor der Kanzlei denselben
Eindruck gehabt. Und zwischen Hank und einem der anderen Opfer gibt es eine
Verbindung.« Ich erzählte ihm von dem Fall Hilderly.
Greg machte sich Notizen, während ich
redete, und sagte dann: »Ich werde das mit Hank besprechen.«
Ich blieb sitzen und betrachtete ihn.
Er sah müde aus, jetzt, da die Befragung zu Ende war. Er zerzauste sich sein
graublondes Haar und streckte seine Füße unter dem Kaffeetisch aus. Ich stellte
fest, daß ich merkwürdigerweise nicht über den Mordversuch und seine
Auswirkungen nachdachte, sondern überlegte, wie sehr sich unsere Beziehung im
Laufe der Jahre verändert hatte — anfangs waren Greg und ich Gegner, dann ein
Liebespaar und jetzt Freunde. Von den drei Stadien paßte das dritte am besten
zu uns.
Ich sagte: »Es tut mir leid, wenn ich
dich zu sehr gedrängt habe, mich dabeisein zu lassen.«
Er zuckte die Achseln. »Ich bin es ja
mittlerweile gewöhnt. Und wie üblich, hast du mir sogar einen Gefallen getan.
Willie hätte nicht offen geredet, wenn du nicht nachgehakt hättest.« Er rieb
sich die Augen und fügte hinzu: »Schick doch bitte Hank herein.«
Ich nickte und stand auf.
»Und wenn dir später noch etwas
einfällt, was du mir nicht gesagt hast, dann ruf mich sofort an.«
Ich nickte wieder.
»Und auch wenn Willie dir etwas
erzählt, was er vor mir nicht hatte sagen wollen.«
Wieder nickte ich — langsam fühlte ich
mich wie eine der Figuren, die man am Armaturenbrett festklemmt, deren Kopf auf
einer Feder sitzt — und ging aus dem Zimmer.
Als ich am nächsten Tag um acht Uhr in
der Kanzlei ankam, saß Ted Smalley an seinem Schreibtisch und hämmerte auf die
Tastatur seines Computers ein. Ich sah nach, ob auf der Tafel irgendwelche
Nachrichten für mich waren, und sagte dann: »Weißt du, du hättest dir heute
frei nehmen können.«
Ohne seine Arbeit zu unterbrechen,
antwortete er: »Ich brauche Beschäftigung. Außerdem habe ich eine
Anwaltskanzlei zu leiten. Jetzt, wo alle Leute ganz aufgeregt sind über den
Mordversuch gestern abend, habe ich alle Hände voll zu tun.«
Ted ist überzeugt, daß der Betrieb bei
All Souls ohne seine ständige Betreuung zusammenbrechen würde; und
Weitere Kostenlose Bücher