Tote Pracht
Augen flackerten jetzt zornig. Sie
schüttelte trotzig den Kopf.
Ich spürte, daß ihr der Zorn half, ihr
Leben zu ertragen — dies und ihr Einsatz für ihre Familie ließen mich ihr
verzeihen, daß sie D. A.s ehemaliges Engagement gegen den Vietnamkrieg nicht
verstehen konnte. Ich sagte: »Sie wissen selbst, daß Sie das nicht ernst
meinen.«
Sie zuckte die Achseln und setzte sich
wieder an den Tisch.
»Sie haben recht«, sagte sie nach einem
Moment. »Ich meine es nicht ernst. Aber ich bin so verdammt müde. Schauen Sie
mich an: Für wie alt halten Sie mich?«
»Das kann ich nicht sagen. Ich kann das
Alter von Menschen nicht schätzen.«
»Sie wollen nur nett sein. Ich bin
zwanzig Jahre alt.« Sie lächelte bitter. »Zwanzig. Nicht einmal alt genug, um
hier Alkohol ausschenken zu dürfen, obgleich ich es tue, wenn ein Gast welchen
möchte. Ich war vierzehn, als D. A. mich schwängerte. Meine Mutter mußte unterschreiben,
damit wir heiraten durften. Ich arbeitete nach der Schule auf einem Markt in
Point Reyes, und er kam vorbei, um sich mit mir zu unterhalten. Ich war so jung
und dumm, daß ich nicht merkte, wie kaputt er war. Und dann kam Davey, und mein
Kind brauchte schließlich einen Vater, nicht wahr?«
»Ja, das ist wohl so.«
»Jake und Harley kamen vorbei, nachdem
ich D. A. gesagt hatte, daß ich schwanger sei. Sie wollten mich zu einer
Abtreibung überreden. Sie wollten sie bezahlen. Vielleicht war es dumm, ihr Angebot
nicht anzunehmen. Glauben Sie, es war dumm von mir?«
»Glauben Sie es denn?«
»Ich weiß es nicht. Ich liebe meine
Kinder. Sie gehören mir; wenigstens habe ich etwas. Ich habe keine
Ahnung, ob mein Leben besser wäre, wenn ich sie nicht bekommen hätte. Aber
manchmal frage ich mich, ob ich etwas aus meinem Leben hätte machen können,
wenn ich eine Chance gehabt hätte.«
Das ist eine uralte Frage, auf die es
keine Antwort gibt. »Haben Ihnen Jake und Harley gesagt, warum sie Ihnen dieses
Angebot machten?«
»Ja, sicher. Sie erzählten mir
unaufhörlich, wie verkorkst D. A. sei. Aber ich war so jung und dumm, daß ich
ihnen nicht glauben wollte. Vierzehn Jahre alt, mein Gott. Ich glaubte, ich
könne ihm helfen.« Sie lachte freudlos. »Können Sie sich das vorstellen? Ihm
helfen! Ich kann mir nicht einmal selbst helfen.«
»Mia, das Geld wird alles leichter
machen.«
»Nicht, wenn es nach Jake und Harley
geht.«
»Hank Zahn kann da schon etwas machen —
das verspreche ich Ihnen.«
Ein paar Sekunden lang schaute sie mir
fest in die Augen. Ich glaubte, einen Hoffnungsschimmer zu entdecken, aber dann
zuckte sie die Achseln, als ob sie sagen wollte, daß man ihr nichts mehr
vormachen könne.
»Jedenfalls«, sagte sie nach einem
Augenblick, »habe ich hier die Kette, die Sie wollten.« Sie schob eine Handvoll
graues Metall über den Tisch.
Ich hob die Kette auf, die von der
gleichen Art war wie die, die ich bei Hilderly gefunden hatte, und ließ die
Buchstaben baumeln. Da waren ein A und ein M; das A hatte die gleiche runde
Einfassung wie das an der anderen Kette; am M befand sich hinten eine
klippartige Ausstülpung. Ich nahm die andere Kette aus meiner Tasche und legte
sie nebeneinander auf den Tisch. Allmählich konnte ich mir das Ganze
vorstellen. Es war wohl ein fünf Zentimeter breites und sieben Zentimeter hohes
Oval gewesen. Ich fragte mich, in wie viele Teile es wohl zerbrochen worden
war.
»Darf ich sie ausleihen?« fragte ich
und deutete auf die Kette, die ihrem Mann gehörte.
Sie zögerte, dann zuckte sie die
Achseln. »Wenn Sie sie bald zurückbringen. D. A. wird eine Weile weggetreten
sein und nicht merken, daß sie verschwunden ist.«
»Danke.« Ich steckte beide Ketten in
meine Tasche.
»Wissen Sie, was das ist?« fragte Mia.
»Ich glaube ja.«
»Hat die Kette vielleicht irgend etwas
mit dem Teufel zu tun?«
»Nein, sicher nicht.«
»Aber warum hat sie dann so eine...
Macht über D. A.? Was bedeutet sie?«
»Heutzutage nicht mehr viel. Aber sie
ist nichts Schlechtes. Machen Sie sich keine Sorgen. Sie ist...«Ich zögerte und
suchte nach den richtigen Worten. »Sie ist nur ein Symbol für etwas, das lange
vorbei ist.«
16
Als ich mit dem MG neben dem Zaun bei
den Moon Ridge-Ställen hielt, kam Libby Ross gerade aus dem Schuppen heraus,
wieder in ausgewaschenen Jeans und einer Daunenjacke, und in der Hand trug sie
einen Plastikeimer mit Bürsten und Striegeln. Sie sah das Auto und beschattete
ihre Augen mit dem Arm, um im Gegenlicht etwas erkennen
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