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Tote Pracht

Tote Pracht

Titel: Tote Pracht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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und
A.«
    Ich schaute zu ihr hoch. Ihr Blick
ruhte auf dem Stock, und sie beobachtete seine Bewegungen genau.
    »Ich nehme an, es gab noch andere
Buchstaben dazwischen«, fuhr ich fort. »Vermutlich — E, R und I. Habe ich
recht, Libby?«
    Sie machte eine Handbewegung, als wolle
sie die Buchstaben, die ich gerade gezeichnet hatte, wegwischen.
    Als sie schwieg, sagte ich: »Amerika.
So wie die Leute aus der Protestbewegung es schrieben — nach dem Kafka-Roman — ,
die die Vereinigten Staaten als imperialistisches, faschistisches,
rassistisches und militaristisches Land anprangerten.«
    Ross sank zu Boden und starrte auf die
Zeichnung. Dann nahm sie den Stock und fügte ein Friedenssymbol hinzu, bei dem
sich die Äste eines umgekehrten Ys im R von »Amerika« trafen.
    »Ich habe schon seit Jahren nicht mehr
an diese Medaillons gedacht. Ich weiß nicht einmal, was aus meinem geworden
ist. Unser Talisman.« Sie lachte bitter. »Aus heutiger Sicht betrachtet,
erscheint es wie ein albernes Kinderspiel — so wie Kinder sich in den Finger
schneiden, um Blutsbrüderschaft zu schließen. Aber damals war es uns sehr
wichtig: Jeder von uns hatte einen Teil dieses Dings, es war ein Symbol für
das, woran wir glaubten und was uns für immer verbinden sollte.«
    »Es hat Sie in gewisser Weise für immer
miteinander verbunden.«
    »Ja. Ja, vielleicht haben Sie recht.«
Sie seufzte, nahm mir die Anhänger dann aus der Hand und betrachtete sie, wie
sie so auf ihrer Handfläche lagen.
    »Woher haben Sie die beiden?«
    »Ein Medaillon haben wir in Hilderlys
Wohnung gefunden. Das andere hat mir Mia Taylor gegeben.«
    »Also hat D. A. seines tatsächlich
aufgehoben.«
    »Mia sagt, daß er es manchmal
herausnimmt und betrachtet. Sie glaubt, es habe Macht über ihn, sie hält es für
eine Art bösen Zauber.«
    Ich erwartete, daß Ross darüber lachen
würde, aber sie sagte nur: »Vielleicht hat sie sogar recht.«
    »Ich nehme an, diesen... Talisman, wie
Sie es nennen, teilten Sie mit den anderen Leuten, die mit dem Bombenattentat
von Port Chicago zu tun hatten.«
    »Sie glauben, über uns Bescheid zu
wissen. Aber nicht alle aus der Gruppe waren an der Sache in Port Chicago
beteiligt.«
    »Was war das für eine Gruppe?«
    Sie setzte sich nun und schlang die
Arme um die Knie. »Wir waren ein politisches Kollektiv mit lockeren
Verbindungen zur Weatherman-Gruppe. Das Weather-Büro — die Führung der
Organisation — war zwar für die politischen Strategien zuständig, aber es gab
ständig ideologische Kämpfe, und die ganze Organisation war nur locker
strukturiert.«
    »Wann war das?«
    »Achtundsechzig, neunundsechzig. Es sah
schlecht aus: Die Bewegung verlor an Durchsetzungskraft, und die Bullen waren
hinter uns her. Viele Leute stiegen aus und planten direkte Gewaltaktionen. Auf
dem Campus hatte sich die Szene von Berkeley zur S.F. State University
verlagert. Also zogen einige von uns in die Stadt.«
    »Und?«
    »Wie gesagt, die Weatherman-Gruppe war
nur locker strukturiert. Wir kümmerten uns selbst um unsere Angelegenheiten.«
    »Und welche?«
    Sie zuckte die Achseln. »Wir
debattierten über Ideologie, politische Erziehung. Trainierten unsere
Fertigkeiten für den Kampf.«
    »Fertigkeiten?«
    »...Na ja, Selbstverteidigung,
Propaganda, Schießen, Waffenkunde.«
    »Bombenbasteln?«
    Sie nickte. »Aber vor allem redeten wir
— wir führten endlose intensive Gespräche. Wir waren durch und durch
politisiert — und romantisch. Wir hielten es für so verdammt romantisch, in
einer schmuddeligen Wohnung in Fillmore zu leben und alles zu teilen — Kleider,
Essen, Geld, Drogen, Sexualpartner. Wenn ich daran denke, wie naiv wir waren!
Wir wollten die Welt verändern und verstanden davon doch nicht mehr als... als
der alte Chaucer dort drüben.« Sie deutete auf einen Schecken.
    »Die einzelnen Weather-Kollektive waren
eher klein, oder?«
    »Ja, das war notwendig, um Vertrauen
zwischen den Mitgliedern aufzubauen und Infiltration zu verhindern.«
    »Wie groß war Ihre Gruppe?«
    »...Die Leute kamen und gingen, aber
wir waren nie mehr als sechs oder sieben gleichzeitig.«
    »Sie und D. A. und Jenny Ruhl?«
    Sie nickte.
    »Was war mit Perry?«
    »Er — gehörte dazu. Er arbeitete für
eine Zeitschrift und sollte durch seine Artikel für uns werben. Bei dem
Bombenattentat war er nicht dabei. Er ging als Reporter nach Vietnam,
als die Sache noch in der Planung war.«
    Hilderly hatte seinen Kameraden
offensichtlich verschwiegen, daß er die

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