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Tote Pracht

Tote Pracht

Titel: Tote Pracht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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Land weiden ließ, davon,
sondern in Richtung Abbotts Lagune und Meer.
    Als sie ein gutes Stück entfernt war,
ging ich zum Stall hinüber. Drinnen hörte ich geschäftige Geräusche — der
Junge, den sie erwähnt hatte, mistete die Boxen aus. Ross hatte den Schuppen
nicht abgeschlossen; ich ging hinein und nahm die Medaillons, die sie auf den
Tisch gelegt hatte, wieder an mich. Dann schaute ich mich um.
    Auf dem Tisch lag eine
Schreibtischunterlage in Kalenderform, in die Termine für Reitausflüge und
Reservierungen eingetragen waren. Es gab ein Telefon und einen beachtlichen
Stapel Zeitschriften mit Titeln wie Pferd und Reiter. In der
Mittelschublade vom Schreibtisch herrschte das übliche Durcheinander:
Kugelschreiber, Bleistifte und Heftklammern; in der untersten Seitenschublade
lagen Ordner, im Fach darüber Blankoschecks, Umschläge, ein Buchhaltungsheft,
eine Schachtel mit Visitenkarten. In einem separaten Fach im hintersten Winkel
fand ich ein gerahmtes Bild; es lag mit der Vorderseite nach unten.
    Es war eine Farbfotografie von Libby
Ross, Hilderly, D. A. Taylor und einer Frau, die ich auf den ersten Blick für
Jess Goodhue hielt. Sie standen auf den breiten Steinstufen eines Gebäudes,
anscheinend die Sproul Hall in Berkeley. Ross, Hilderly und die andere Frau
saßen, während D. A. hinter ihnen stand, die Hand zur Faust geballt. Ross sah
nicht viel anders aus als jetzt; Hilderly erkannte ich wieder nach den alten
Fotos, die ich in seinen Alben gesehen hatte. Aber Taylor schien ein völlig
anderer Mensch zu sein — aggressiv und stolz blickte er mit feurigen Augen in
die Kamera. Als ich ihn so, in seiner ganzen Intensität, die das Foto
sicherlich nur unzureichend wiedergab, sah, begriff ich, wie in dem bitteren
Nachgeschmack von Niederlagen und Gefängnis sein inneres Feuer hatte außer
Kontrolle geraten und verlodern können.
    Die andere Frau hatte eine solche
verblüffende Ähnlichkeit mit Jess Goodhue, daß es nur Jenny Ruhl sein konnte.
Sie hatte die gleichen elfenbeinzarten Gesichtszüge, und ihr langes glattes
Haar hatte den gleichen dunklen Glanz. Im Vergleich zu den schlaksigen
Gestalten von Libby Ross und Hilderly wirkte sie ebenso klein und kompakt wie
ihre Tochter. Aber obgleich sie offen in die Kamera lächelte, blickte sie nicht
so entschieden wie Jess Goodhue. Während man bei den Bildern ihrer Tochter den
Eindruck hatte, daß sie einem direkt in die Augen schaute, wirkte Jenny Ruhl
nur frech und trotzig. Ich vermutete, daß das an ihrer unterschiedlichen
Erziehung lag: Jenny Ruhl kam aus einer wohlhabenden Familie, und ihr war wohl
alles in den Schoß gefallen; Jess Goodhue hatte sich mit Hilfe ihrer
angeborenen Stärke durchkämpfen müssen.
    Ich fragte mich, wer wohl hinter der
Kamera gestanden hatte, warum Ross es gerahmt und all die Jahre aufgehoben
hatte. Und ich dachte darüber nach, wie unterschiedlich diese vier Menschen auf
die Umwälzungen in den späten sechziger Jahren reagiert hatten.
    Luke Widdows zufolge war Hilderly,
während die anderen noch für ihre Sache kämpften, so desillusioniert gewesen,
daß er um die halbe Welt reiste, auf der Suche nach der Wahrheit — und sich
dann für den Rest seines Lebens in ein gefühlsmäßiges Vakuum verkroch. Ross’
Schweigen über Port Chicago ließ mich vermuten, daß sie an dem Bombenattentat
beteiligt gewesen war und selbst einige Zeit im Gefängnis gesessen hatte. Aber
danach hatte sie sich ein neues Leben aufgebaut, auch wenn es nur »so eine Art
Leben« war. Taylor hatte das Gefängnis als gebrochener Mann verlassen, als ein
Mensch, der nicht mehr lebensfähig war. Und Ruhl? Jenny Ruhl hatte sich
erschossen.
    Welch grundlegender Fehler hatte die
Zusammenbrüche von Ruhl und Taylor verursacht? Warum hatten Ross und Hilderly,
wie angeschlagen auch immer, überleben können? Taylor hatte gesagt, daß er kein
starker Mensch gewesen sei, aber ich vermutete, der grundlegende Unterschied
lag weniger in der Stärke als in der Flexibilität. Die Eukalyptusbäume, die auf
dieser Landzunge als Windbrecher dienten, sahen stark aus, aber ein heftiger
Sturm konnte sie leicht zerfetzen oder entwurzeln. Die zart wirkenden Zypressen
dagegen bogen sich bis zum Boden und lebten weiter — wenn auch gebeugt und
verkrüppelt.
    Schließlich legte ich das Foto in die
Schublade zurück und verließ den Schuppen. Die Luft war kühl geworden; hoch am
Himmel trieben Wolkenfetzen vom Meer herein. Ich schaute zur Küste, meine Augen
folgten dem Weg, den

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