Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tote Pracht

Tote Pracht

Titel: Tote Pracht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
Vom Netzwerk:
Aufprall
brachte ihn ins Wanken; er landete auf einem Knie.
    Ich blieb stehen und konzentrierte
mich. Hob meinen Revolver mit beiden Händen hoch und drückte wieder ab.
    Der Schuß warf ihn auf das Pflaster. Er
landete mit dem Gesicht nach unten und versuchte dann weiterzukriechen. Ich
sprang die Stufen hinunter, packte seinen Arm, drückte ihn auf seinen Rücken
und setzte mich auf ihn.
    Entlang der ganzen Straße bellten
Hunde, und die Leute spähten aus ihren Fenstern oder von ihren Veranden.
Stimmen plapperten. Ich schaute schnaufend die Straße hinunter und erkannte,
daß wir in etwa einen Kreis gemacht hatten und nun auf der anderen Seite des
Parks gegenüber von All Souls waren. Ich konnte das Haus durch die Bäume nur
undeutlich sehen, aber es wurde von den roten und blauen Lichtern der
Polizeiautos erhellt. Das Gemurmel und Geknackse der Radios war deutlich
hörbar.
    Der Mann unter mir wehrte sich. Ich
setzte mich fester auf seinen Arm, und er lag wieder ruhig. Eine Frau starrte
uns vom Vorgarten eines nahe gelegenen Hauses aus an; sie schien sprachlos zu
sein.
    Ich schrie ihr zu: »Laufen Sie zur Coso
hinunter, sagen Sie der Polizei, daß ich den Heckenschützen habe!«
    Wortlos rannte sie davon.
    Der Mann unter mir wehrte sich wieder.
Ich hob meinen Revolver und drückte ihn gegen die weiche Stelle am unteren Teil
seines Schädels. »Halten Sie sich, verdammt noch mal, still!«
    Er fügte sich.
    Meine Wut war nun verflogen. Ich
verspürte nur Enttäuschung, so als ob ich ein erbittertes Wettrennen gelaufen
wäre und dann festgestellt hätte, daß die anderen Teilnehmer gar nicht
mitgelaufen waren. Das und eine leichte Neugier.
    Ich preßte die Waffe fester gegen den
Schädel des Mannes. Nahm meine andere Hand von seinen Armen und packte sein
langes, dünnes Haar. Ich riß seinen Kopf in die Höhe, so daß ich sein Gesicht
sehen konnte.
    Es war ein Durchschnittsgesicht. Zarter
Knochenbau, gleichmäßige Züge und ein buschiger, ungepflegter Schnurrbart. Als
sein Blick dem meinen begegnete, rollten seine blauen Augen panisch; sein Mund
verzog sich zu einer unausgesprochenen Bitte. Nachdem ich ihn einen Augenblick
lang betrachtet hatte, ließ ich sein Haar los, und seine Stirn schlug gegen das
Pflaster. Schauer des Schmerzes und der Angst jagten durch seinen Körper.
    Dann bemerkte ich die Leute, die sich
um mich herum versammelt hatten. Sie schwiegen und beobachteten mich
vorsichtig; in den Augen einiger konnte ich eine Anklage lesen. Ich und nicht
der Heckenschütze schien ihnen Angst einzujagen.
    Ich wandte meinen Blick zum Ende der
Straße, wo die Lichter der Polizeiwagen die Nacht rot und blau erleuchteten.
Sollten die Leute doch denken, was sie wollten; es war mir egal.
    Ich wollte jetzt nur wissen, ob Hank
noch lebte.
     
     
     

20
     
    Anne-Marie und ich saßen im grellen
Licht des fast leeren Wartesaals im Traumacenter des San Francisco General
Hospitals. Ihr Gesicht war blaß und gespannt; ihre Finger, die meine Hand
umklammerten, zuckten nervös. Hank war schon seit geraumer Zeit im
Operationssaal. Die Kugel war in seine rechte Brustseite eingedrungen; der Arzt
hatte uns gesagt, daß man die inneren Verletzungen vor Abschluß der
Untersuchungen nicht absehen könne.
    Greg hatte mich von All Souls
hierhergefahren und meine Aussage im Auto auf Band aufgenommen. Er war zwar
mitgekommen, um den Heckenschützen, John Weldon, dem ich eine
Schulterverletzung zugefügt hatte, zu vernehmen. Aber seine wirkliche Sorge
galt Hank. Journalisten waren gleichzeitig mit uns eingetroffen; Greg hatte
ihnen gegenüber einen kurzen Kommentar abgegeben, aber ich hatte mich
geweigert, irgend etwas zu sagen. Nun waren sie weg, und Greg und Hank waren
beide irgendwo hinter den Schwingtüren, durch die man ins eigentliche
Krankenhaus gelangt. Anne-Marie und ich warteten allein.
    Nun fühlte ich mich wie betäubt. Mein
Schuldgefühl, daß es mir nicht gelungen war, Hank zu beschützen, war abgeflaut;
niemand — weder die Kollegen bei All Souls noch Greg oder Anne-Marie selbst — gab
mir irgendwelche Schuld. Selbst meine Furcht vor dem Ergebnis der Operation war
eigentümlicherweise abgeklungen. Trotz der Leute um uns herum und der
gelegentlichen Einlieferung von anderen Verkehrs- oder Verbrechensopfern war
es, als befänden wir uns in einem emotionalen Vakuum, in dem wir unsere Umwelt
kaum wahrnahmen.
    Gegen Viertel nach drei kam Greg durch
die Schwingtüren. Er sah nicht viel besser aus als Anne-Marie;

Weitere Kostenlose Bücher