Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tote Pracht

Tote Pracht

Titel: Tote Pracht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
Vom Netzwerk:
Schritt vorsichtig mit dem Fuß. Vor mir lag vollständige Dunkelheit.
Ich hatte das Gefühl, einen endlosen Tunnel zu betreten.
    Und dann hörte ich etwas: das Knacken
eines Zweiges. Ich ging schneller, und mein Fuß traf auf einen schweren
Gegenstand. Er rollte davon und knallte gegen den Zaun.
    Nun knackten wieder Zweige. Dann hörte
ich schlagende Geräusche und stolpernde Schritte.
    Mit der linken Hand tastete ich mich an
der Klippe entlang und ging schnell in die Richtung, aus der die Geräusche
kamen. Nun konnte ich einen Busch erkennen, dessen oberste Zweige sich gegen
den Himmel abhoben. Als ich mich ihm näherte, roch ich den scharfen Duft von
Anis.
    Die Geräusche entfernten sich nun. Ich
nahm meine Hand von der Klippe und bog ein paar Zweige zurück. Das Gebüsch war
dicht und undurchsichtig. Auf der anderen Seite ertönten Schritte auf freiem
Gelände. Er rannte wieder.
    Ich warf mich in das Gebüsch, schlug
Zweige zur Seite und kämpfte mich durch hohes Unkraut. Kletterpflanzen
verhakten sich an meinen Beinen und Knöcheln; Brombeerdornen zerkratzten meine
bloßen Hände. Ich stolperte über einen Felsen, hielt mich am Stamm einer Fichte
fest und bekam von ihrem Saft klebrige Finger. Dann durchbrach ich die wilde Vegetation
und landete auf einem Betonweg.
    Zu meiner Rechten befand sich nur eine
über einen Meter hohe Betonmauer. Hinter ihr ragten Dächer in die Höhe. Ein
paar Häuser weiter sprang die Klippe hervor und bildete eine Sackgasse. Der
Mann kletterte gerade dort die Mauer hoch.
    Ich konnte ihn nicht deutlich genug
sehen, um einen Schuß zu riskieren. Während ich den Pfad entlangrannte,
verschwand er über die Mauer. Dann hörte ich lautes Metallgeklapper.
    Ich schob die Pistole in meinen Gürtel,
packte das obere Ende der Mauer und zog mich hoch. Ein paar Sekunden lang
schwankte ich oben; dann sprang ich hinunter und landete auf den Fußballen. Der
Aufprall jagte mir einen heftigen Schmerz durch den Körper. Ich taumelte und
fiel gegen die Mülltonne, die er umgeworfen hatte.
    In den Häusern vor mir gingen die
Lichter an; sie erleuchteten die dazwischen gelegene Allee. Der Mann fummelte
an dem Riegel eines Zaunes, der das Ende der Straße abschloß, herum. Ich
schrie, er solle stehenbleiben. Es gelang ihm, das Tor zu öffnen, und er
verschwand vom Gehsteig.
    Mit dem Revolver in der Hand folgte ich
ihm. Über mir öffnete sich ein Fenster, und ein Mann schrie irgend etwas
heraus. Ich lief weiter. Als ich das Tor erreichte, schwang es immer noch so
heftig, daß es mir schmerzhaft gegen den Unterleib schlug; ich drückte es auf
und lief, wie ich annahm, auf die Prospekt Avenue hinaus. Mein Blick flog nach
rechts und links.
    Er rannte auf der linken Seite wieder
hügelaufwärts. Das Gebell der Hunde und das Geschrei der Leute markierten seinen
Weg.
    Auf der anderen Seite der Prospekt
Avenue war wieder ein kleines Waldstück. Der Schütze lief darauf zu. Das
Eingangslicht des danebenstehenden Hauses schien auf ihn herab; kurz erkannte
ich Jeans, eine dunkle Windjacke und eine Baseballkappe. Dann verschwand er in
den Nebelschwaden.
    Ich beschleunigte das Tempo; bei jedem
Schritt brannte mein Hals; auf der rechten Seite verspürte ich einen stechenden
Schmerz. Als ich den kleinen Hain erreichte, erfüllte der Duft von Eukalyptus
und Nadelhölzern meine Nase. Den Bäumen ausweichend, folgte ich dem Klang
seiner Schritte.
    Jenseits des Hains lag ein
vollgeparkter, gepflasterter Parkplatz und eine der Treppen, wie man sie in
Bernal Heights oft findet — breite Stufen, von einem hüfthohen Eisengeländer
eingefaßt. Diese Treppe führte zur Coleridge Street hinab. Der Schütze lief sie
hinunter, seine Baseballkappe flog ihm vom Kopf, und lange, graue Haare wurden
sichtbar. Wenn ich ihn hier verlor, dann war er nur noch einen Häuserblock von
der belebten Mission Street entfernt, wo rund um die Uhr Busse fuhren.
    Ich begann die Stufen hinabzueilen,
wobei ich ihm mit heiserer Stimme drohte, daß ich auf ihn schießen würde. Er
schaute über die Schulter zurück. Wandte sich um und hob die Waffe.
    Ich drückte ab. Der Schuß verfehlte ihn
zwar, aber er stolperte und fiel gegen das Eisengeländer. Er ließ seinen
Revolver fallen. Er klapperte über die Stufen und landete seitlich im
Buschwerk. Er richtete sich auf, warf einen Blick in Richtung seiner Waffe,
drehte sich um und floh.
    Ich schrie wieder. Er rannte weiter,
sprang die letzten Stufen hinunter und hechtete auf den Gehsteig. Der

Weitere Kostenlose Bücher