Tote Pracht
Bürgersteig herum, bis sie
mit ihrem Gespräch fertig waren. Es ging um den Bau eines neuen Stadions
anstelle von Candlestick Park im Stadtzentrum. Die Männer auf dem Bürgersteig
waren alle dafür; der Mann im Auto — den ich noch nicht sehen konnte — hatte
nichts dagegen, aber das Projekt war für ihn ein Beispiel der ›Interessenpolitik‹
im Rathaus.
»Während des Wahlkampfes spucken sie
große Töne«, sagte er mit belegter Stimme, »und wenn man sie gewählt hat, sind
alle Versprechen vergessen.«
Der Mann mit der Strickmütze sagte:
»Warum schreibst du keinen Brief, Cal, und erklärst das dem Bürgermeister?«
»Das mach’ ich vielleicht sogar.«
Ich wollte die kurze Gesprächspause
gerade nützen, um mich einzuschalten, als der andere Mann auf dem Gehsteig ein
wenig zur Seite trat, und der im Wagen mich sah. »Geht auf die Seite, Jungs. Da
kommt mich eine junge Dame besuchen. Ich habe Besseres zu tun, als meine Zeit
an euch alte Trottel zu verschwenden.«
»Du bist einfach zu beliebt, Cal.« Der
Mann mit der Wollmütze winkte mir, näher heranzutreten. »Bis später.« Er und
sein Gefährte marschierten davon.
Der alte Cal war Mitte Sechzig. Er
hatte weißes Haar und eine dunkle Haut, die fast violett wirkte, einen
kräftigen Oberkörper, muskulöse Schultern und einen ausgeprägten Bizeps; im
Gegensatz dazu wirkten seine verkrüppelten Beine, die aus dem Auto ragten, so
daß seine Füße auf dem Randstein stehen konnten, als ob die Luft aus ihnen
entwichen wäre. Ein Blick in seine lebhaften Augen aber sagte mir, daß dieser
Mann außer seiner Gehfähigkeit nichts eingebüßt hatte.
Er lächelte mir freundlich zu und
deutete mit dem Kopf auf die davonziehenden Männer. »So ist das, wenn ein Mann
in Rente ist«, sagte er. »Wissen nichts mit ihrer Zeit anzufangen, die zwei.
Die beiden landen jetzt im Two A. M. Club, und wenn normale Menschen von der
Arbeit kommen, werden sie schon stockbesoffen sein. Ich kann seit
dreiundsechzig nicht mehr arbeiten, aber ich bin immer hier zu finden und höre
mir an, was die Leute zu sagen haben. Abends sitze ich meistens an der
Schreibmaschine und schreibe Briefe, damit hier etwas geschieht. Das hält mich
auf Trab.« Er hielt inne und schüttelte den Kopf. »Macht einen aber auch
geschwätzig. Cal Hurley ist mein Name. Ich vermute, Sie wollen mit mir reden.«
Ich schüttelte seine Hand, die er mir
entgegenstreckte. »Die Frau in Rhondas Laden hat mir gesagt, wo ich Sie finde.«
Ich gab ihm meine Visitenkarte, und er
betrachtete sie interessiert. »Find’ ich gut, was man von euch Leuten bei All
Souls so hört. Ihr laßt euch den Mist vom Rathaus ebensowenig gefallen wie ich.
Wie geht es dem Mann, der gestern abend angeschossen wurde? Wird er wieder
gesund?«
»...Ich weiß nicht. Es geht ihm
schlecht.«
»Oje. Sie sind die Dame, die den
Heckenschützen geschnappt hat. Ihr Bild ist im Chron. Wird Ihnen aber
nicht gerecht.«
Ich wußte, welches Bild er meinte.
Warum die Zeitung nur dieses Bild immer noch verwendete...
Ich sah wohl ziemlich deprimiert aus,
denn Cal Hurleys faltiges Gesicht verzog sich mitleidig. »Setzen Sie sich doch
hinten rein. Sie schauen aus, als ob es Ihnen guttäte, sich einmal hinzusetzen.
Es ist kalt auf dem Gehsteig.«
Ich öffnete eine der Türen des Dodge
und setzte mich hinter ihn. Die plüschartigen braunen Polster rochen nach
Zigarrenrauch.
Cal Hurley drehte sich etwas, so daß er
mich anschauen konnte. »Geht es um die Sache letzte Nacht?«
»Nein, aber es hat damit zu tun.« Ich
schilderte ihm kurz den Hintergrund des Falles. »Bei ihrer Festnahme damals
wohnten die Leute in dem rosa Haus vier Türen weiter« — ich deutete auf das
Gebäude. »Mich interessiert, ob Sie sich noch an sie erinnern.«
Er mußte nicht hinsehen, um zu wissen,
welches Haus ich meinte. »Das war eine komische Sache. Mir fielen die jungen
Leute gleich auf, weil sie nicht hierherpaßten.«
»Meinen Sie, weil es Weiße waren?«
Er nickte. »Alle außer dem Indianer.
Sie haben auch Indianerblut, oder?«
»Ein bißchen.«
»Das dachte ich mir. Stört es Sie, daß
ich ›Indianer‹ sage und nicht eingeborene Amerikaner:?«
Ich zuckte die Achseln. »Das sind nur
Namen, und darauf gebe ich nicht viel.«
Er lächelte zustimmend. »Wissen Sie,
vor kurzem war ich noch ein Neger. Dann war ich ein Schwarzer. Das ist sowieso
falsch, denn die meisten von uns sind braun, aber was soll’s. Bevor ich mich
versah, war ich kein Schwarzer mehr, sondern
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