Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tote Pracht

Tote Pracht

Titel: Tote Pracht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
Vom Netzwerk:
Büro hinauf. Er enthielt eine Kopie
des Berichtes, den Wolf mir versprochen hatte. Ich setzte mich und begann zu
lesen.
    Wolf schien die gleichen öffentlich
zugänglichen Quellen konsultiert zu haben wie ich. Außerdem hatte er noch
einige Leute befragt, die Jenny Ruhl gekannt hatten. Das ergebnisreichste
Gespräch hatte er mit einer Frau geführt, die mit Jenny während ihres ersten
Studienjahres in Berkeley ein Zimmer geteilt hatte. Obwohl sich ihre Wege nach
den ersten Semestern getrennt hatten, waren die beiden in Kontakt geblieben.
Die Frau bestätigte, daß Andy Wrightman der Vater von Jennys Kind war. Er hing
damals an der Universität herum, sagte sie. Jenny und er hatten sich während
eines Seminars über die Ursachen des Vietnamkrieges kennengelernt; sie hatten
etwa ein Jahr zusammengelebt, als Jenny schwanger wurde. Als sie ihm sagte, daß
sie ein Kind erwartete, verschwand Wrightman aus Berkeley. Aber bevor sie von
der East Bay nach San Francisco umzog, kehrte er zu ihr zurück. Als die
Freundin nach dem Prozeß mit Jenny Kontakt aufnahm, um ihr ihre Hilfe
anzubieten, lebte Jenny mit Wrightman in der Wohnung an der Page Street.
    Ich las den Bericht zweimal. Beim
zweiten Mal versuchte ich, mir vorzustellen, wie Jess Goodhue darauf reagiert
hatte. Ich ging in Gedanken meine Gespräche mit ihr durch und konzentrierte
mich schließlich auf das Telefongespräch, das wir am späten Nachmittag jenes
Tages geführt hatten, an dem sie den Bericht abgeholt hatte. Ich hatte ihr
erzählt, daß ich glaubte, Tom Grant spiele in meinem Fall eine größere Rolle,
als er zugeben wollte; einer der Erben sei von meiner Beschreibung Grants
überrascht gewesen und habe spontan gesagt, Grant sei »the right man«.
    Jess Goodhue hatte gewußt, daß das ein
Name war — Wrightman. Der Name ihres Vaters. Und sie kannte Grant, sie hatte
ihn interviewt und »charmant« gefunden.
    Dann dachte ich an das Gespräch, das
ich am folgenden Morgen mit Grant geführt hatte. Wir hatten uns für neun Uhr
abends verabredet, weil er vorher noch mit einem Mandanten zu Abend essen würde
und dann einen Termin für ein »Interview« hatte. Als Angela Curtis mir erzählt
hatte, daß sie von ihm ins Kino geschickt worden war, hatte ich angenommen, daß
es sich um das Vorstellungsgespräch mit einer künftigen Angestellten handelte,
möglicherweise mit ihrer Nachfolgerin. Aber auch Medienleute vereinbaren
Interviews. Und als ich versucht hatte, Goodhue zu erreichen, bevor ich mich
auf den Weg zu Grant gemacht hatte, war sie angeblich in ihrer Garderobe
gewesen, wo niemand sie je störte.
    Ich hielt die Zeit für eine Aussprache
mit Jess Goodhue für gekommen.

23
     
    Goodhue war schon auf Sendung, als ich
beim KSTS eintraf. Ich wollte nicht Gefahr laufen, sie zu verpassen, falls sie
vorhatte, das Studio zwischen ihren Sendungen zu verlassen, und so sagte ich
dem Empfangschef, daß ich warten wolle. In der Halle stand eine Sitzgruppe, und
auf dem niedrigen Tisch in der Mitte lagen verschiedene Zeitschriften;
gedankenverloren blätterte ich durch Metropolitan Home. Die
bevorstehende Konfrontation mit der Moderatorin und die unerfreulichen
Neuigkeiten, die im Laufe des Gespräches möglicherweise ans Licht kämen,
beschäftigten mich.
    Die Zeiger meiner Uhr schlichen langsam
auf sieben zu. Die Halle war menschenleer, und in dem ganzen Gebäude schien
Totenstille zu herrschen, als ob alle bis zum erfolgreichen Ende der Sendung
den Atem anhielten. Aber ich wußte, daß dieser Eindruck trügerisch war: Hinter
der verschlossenen Tür neben dem Empfang herrschte sicherlich größte Hektik;
bis zu den Elf-Uhr-Nachrichten trafen immer noch neue Berichte ein, wurden
Nachrichten ständig auf den neuesten Stand gebracht. Und es war gut möglich,
daß Goodhue diese Geschäftigkeit dazu benützen würde, um mir aus dem Weg zu
gehen.
    Bis jetzt war niemand von der Straße
aus ins Studio gegangen. Ich bemerkte, daß es vom Parkplatz aus einen Eingang
gab. Wenn Goodhue mir entwischen wollte, könnte sie auf diesem Weg
verschwinden, sobald sie der Empfangschef von meiner Anwesenheit unterrichtete.
Ich warf einen Blick auf ihn; er war völlig in einen neuen Bestseller
versunken. Als ich aufstand und in der Lobby herumging und so tat, als ob ich
die vergrößerten Fotografien der KSTS-Persönlichkeiten betrachtete, beachtete
er mich gar nicht. Den Blick auf das Gesicht von Goodhues Nachrichtenkollegen,
Les Gates, gerichtet, bewegte ich mich auf die verschlossene Tür

Weitere Kostenlose Bücher