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Tote Pracht

Tote Pracht

Titel: Tote Pracht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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Hand entgegen. »Das mache ich«, sagte
er. »Und Sie können jederzeit wieder vorbeikommen. Ich bin hier, darauf können
Sie zählen.«
     
    Die Kanzlei war ruhig und verlassen wie
an einem verschlafenen Sonntagnachmittag. Keine Mandanten und keine Reporter im
Wartezimmer; Teds Schreibtisch war leer. Ich ging weiter und steckte den Kopf
in Raes Büro. Leer. Ich runzelte die Stirn und schaute auf die Uhr. Vier Uhr
siebenunddreißig, um diese Zeit konnten sie nicht schon alle nach Hause
gegangen sein. Dann hörte ich Gemurmel aus der Küche. Eine, wie ich mir selbst
sagte, unvernünftige Ahnung stieg in mir auf.
    Die Szene in der Küche erinnerte mich
an die Nachtwachen, die ich erlebt hatte. Rae, Ted und Jack saßen am Tisch.
Ihre Gesichter waren ernst, und alle hatten einen Drink in der Hand. Ted
umklammerte Ralph, den Kater, wie eine Rettungsweste. Alice, die zur
Abwechslung einmal friedlich war, hockte auf dem Fensterbrett. Ich stellte meine
Tasche und meinen Aktenkoffer auf den Tisch und lehnte mich dagegen, auf
schlechte Nachrichten gefaßt.
    »Da bist du ja«, sagte Jack ein bißchen
zu herzlich. Dieses Mal warf er keinen lüsternen Blick auf meine Beine oder
meinen Busen. Jack erholte sich von seiner Scheidung und hatte mich aus
irgendwelchen Gründen zum Objekt seiner Begierde erkoren. Wenn er mir keine
schönen Augen machte, dann mußte etwas Schreckliches passiert sein.
    »Was geht hier vor?« fragte ich
mit gespielter Lustigkeit. »Habt ihr den Feierabend heute früher eingeläutet?«
    »So was in der Art.« Ted stand auf und
drückte mir Ralph in die Hand. »Du siehst aus, als könntest du einen Drink
brauchen.« Er ging zu dem Schrank, wo die Gläser standen.
    Mit dem Kater auf dem Schoß setzte ich
mich auf den letzten leeren Stuhl. Er legte seinen Schwanz um seine
Vorderpfoten und starrte mich ernst an. Ich drehte ihn um, denn ich konnte den
forschenden Blick seiner gelben Augen nicht ertragen. »Was ist los?« drängte
ich.
    Ted kam mit einem Glas Wein zurück und
reichte es mir. »Hank wurde heute nachmittag noch mal operiert. Er hatte wieder
innere Blutungen, und sie mußten ihn noch mal aufschneiden und ein paar Gefäße
schließen. Wir konnten alle nicht arbeiten und haben beschlossen, früher
aufzuhören.«
    Ich erstarrte mit dem Glas in der Hand,
das ich gerade an die Lippen hatte führen wollen. »Wird er...«
    Rae sagte: »Anne-Marie hat vor einer
Weile angerufen. Er ist im Aufwachraum. Er hält sich wacker.«
    Ich setzte das Glas ab und drückte
meine Hände so fest gegen Ralphs runde Flanken, daß er grunzte. »Was heißt das —
er hält sich wacker?«
    Das war eine dumme Frage; niemand
machte sich die Mühe, mir zu antworten.
    Bildete ich es mir ein, oder war da
eine Spannung im Raum, die ich beim Eintreten nicht gespürt hatte? Ich schaute
mich um und entnahm den verschlossenen Gesichtern um mich herum, daß sie nicht
so recht wußten, wie sie mit mir umgehen sollten. Für sie war ich nicht mehr
dieselbe, die sie vor letzter Nacht gekannt hatten. Rae hatte mein Gesicht
gesehen, bevor ich hinter dem Heckenschützen den Berg hinaufgelaufen war; Jack
und Ted waren mit der Polizei gekommen und hatten mich auf seinem Rücken
sitzend, den Revolver gegen seinen Schädel drückend, vorgefunden. Ich zweifelte
daran, daß irgendeiner von ihnen sein früheres Bild von mir mit dieser fast
mörderisch aussehenden Fremden in Einklang bringen konnte. Die Zeit würde die
Erinnerung zwar verblassen, aber nicht verschwinden lassen, sie würde mich
immer von den anderen trennen.
    Diese Erkenntnis machte mich grenzenlos
traurig. Ich drückte Ralph noch fester, und dieses Mal ließ er einen Protestmaunzer
hören. »Entschuldige«, flüsterte ich und reichte ihn wieder zu Ted. Plötzlich
wollte ich hier weg, wollte ich allein sein. Ich stand auf, packte meine Tasche
und meinen Aktenkoffer und floh in den Gang hinaus. Hinter mir hörte ich Rae
sagen: »Laßt sie gehen. Sie ist schon in Ordnung.«
    Aber dennoch folgten mir Schritte. Ich
wandte mich um und sah Ted, der immer noch den Kater im Arm hielt. »Shar...«
    »Was ist?«
    Er blinzelte; er spürte die
Zurückweisung in meiner Stimme. »Ich wollte dir nur sagen, daß ein Umschlag für
dich auf meinem Schreibtisch liegt.«
    »Oh. Oh, danke, Ted.«
    Ohne ein weiteres Wort ging er in die
Küche zurück.
    Ich wurde noch trauriger. Tränenblind
ging ich den Gang hinunter. Zornig wischte ich die Tränen weg, nahm den
Umschlag von Teds Schreibtisch mit in mein

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