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Tote Stimmen

Tote Stimmen

Titel: Tote Stimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Mosby
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dich auf.«
    »Was?«
    Aber er tippte auf das Armaturenbrett, und alsbald fuhr ihr Wagen die Straße hoch und verschwand.
    Fassungslos stand ich einen Moment alleine dort. Wie konnte er sie so im Stich lassen, nur weil die Polizei bald hier sein würde? Nach allem, was er gesagt hatte. Und erwartete er etwa, dass ich auch noch für ihn log?
    Ich drehte mich um und schaute wieder zum Licht im ersten Stock hoch.
    Die Sirenen waren in der Nähe, aber nicht nah genug.
    Du wirst das allein durchziehen müssen.
    Ein paar Stufen führten zur Haustür hinauf. Ich blieb unten stehen. Das Messer hatte ich zwar noch, aber es würde mir nicht unbedingt von Nutzen sein. Rob war mit einem Messerstich verletzt worden, was bedeutete, dass der Mann, der Sarah entführt hatte, auch eines besaß. Und was hatte ich sonst? Nichts außer dem Blatt Papier, das ich, wie mir jetzt bewusst wurde, noch regennass in der Hand hielt. Ich faltete es zusammen und steckte es in die Tasche. Meine Hand zitterte.
    Sarah und Tori sind jetzt da drin.
    Ich hörte nichts, weil es nichts zu hören gab, und der Himmel wurde nicht dunkler, als er schon war. Aber etwas passierte. In meinem Inneren legte sich ein Schalter um, und ich begriff, dass ein Teil von mir für immer hier stehen bleiben würde, wenn ich dies jetzt nicht tat. Den Rest meines Lebens würde ich auf diesen Moment zurückschauen und den Menschen hassen, den ich vor mir sah. Man kann sich die Fehler vergeben, die man macht. Aber nur, wenn man nicht vorher schon weiß, dass es Fehler sind.
    Bevor ich mir weitere Fragen stellen konnte, ging ich die Stufen hinauf.
    Als ich die Tür aufstieß, schrappte sie gegen den schäbigen Teppich im Flur. Die Treppe war direkt vor mir auf der rechten Seite. Auf dem Treppenabsatz leuchtete ein sanfter Lichtschein.
Dort
. Ich hielt den Blick darauf gerichtet, als ich nach dem Messer in der Tasche griff.
    Ich hatte kaum Zeit, ihn zu sehen, da hatte er mich schon gepackt. Ich erhaschte nur einen Blick auf einen großen Mann an der Tür des dunklen Wohnzimmers neben mir, ein missgebildetes Gesicht voller Hass, und das Nächste, was ich wahrnahm, war, dass mein Kopf an eine Wand und meine Schulter auf den Boden geknallt waren. Er hatte mich gerade ohne weiteres durch das ganze Wohnzimmer geschleudert.
    Von der Seite sah ich ihn die Tür schließen, und einen Moment war der Raum stockdunkel. Mir wurde klar, wie er mich getäuscht hatte. Oben hatte er das Licht angemacht und dann hier unten gewartet.
    Dann schaltete er das Licht an, und ich sah ihn richtig.
    Oh, Mist.
    Der Mann war dünn, wirkte aber so stark, als bestünde er ganz aus Knochen und Sehnen. Er stand mit dem Rücken zu mir, und ich sah ungläubig, wie er eine alte, leere Anrichte, die an der hinteren Wand stand, hochhob, als wiege sie nichts, und sie herüberbrachte, um die Tür zu blockieren. Seine Muskeln strafften sich und ließen seinen Rücken so hart und wehrhaft aussehen wie den Panzer einer Schildkröte. Wo er das Holz angepackt hielt, zeichneten sich seine Knöchel so rund und groß wie Kastanien ab.
    Der Raum bebte leicht, als er die Anrichte an Ort und Stelle abstellte.
    Ich rollte mich herum, setzte mich auf, so gut ich konnte, und dann entdeckte ich Sarah. Sie saß auf einem abgewetzten Sofa links von mir; die Beine bis ans Kinn hochgezogen, die schlanken Arme darumgeschlungen, wiegte sie sich sanft. Sie erschien mir kleiner als jemals zuvor, und lautlos strömten ihr Tränen übers Gesicht.
    »Sarah«, sagte ich.
    Keine Antwort. Ihre Augen schauten direkt durch mich hindurch, und sie schien alles, was geschah, überhaupt nicht zu bemerken. Ich sah, dass sie die Lippen bewegte. Sie flüsterte etwas vor sich hin, aber es war so leise, dass ich es nicht hören konnte.
    Der Mann lachte in sich hinein. Ich starrte zu ihm hinüber. Die eine Seite seines Gesichts war schief, irgendwie stimmte damit etwas nicht. Das Auge saß weiter unten als da, wo es hätte sein sollen, und schien tot. Er sah wie ein altes grauhaariges Raubtier aus, das zu viele Kämpfe hinter sich hatte.
    »Sarah?«, sagte er. »So nennst du dich also dieser Tage?«
    Ich verstand nicht, was er meinte, aber andererseits hämmerte es in meinem Schädel von dem Zusammenstoß mit der Wand. Ich fasste mir an den Kopf, und meine Finger waren rot vom Blut. Unbeholfen kam ich auf die Beine, aber sie waren so schwach, dass ich mich an der Wand abstützen musste …
    Ich blinzelte.
    Was war das? Ich konnte nicht mehr richtig sehen.

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