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Tote Stimmen

Tote Stimmen

Titel: Tote Stimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Mosby
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war, hörte Eddie ein Geräusch von oben – so etwas wie einen dumpfen Schlag – und ging nachsehen.
    Er stieß die Tür zu Marys Zimmer auf und blieb fassungslos stehen, als er sah, was sein Vater getan hatte.
    Mary lag angezogen auf dem Bett, festgebunden.
Gefesselt und geknebelt
, erinnerte er sich gedacht zu haben, weil er diesen Ausdruck in einer der Abenteuergeschichten gefunden hatte, die er gern las. Nichts Rührseliges wie dieses Buch, das Mary jeden Tag las und das sein Vater ihr weggenommen hatte. Vielleicht hatte sie deshalb Schwierigkeiten bekommen, obwohl er nicht verstand, warum.
    Ihre Augen waren aufgerissen und voller Panik.
    Bitte, hilf mir.
    Eddies Hand wanderte hilflos zu seinem Gesicht, und er sah zu, wie sie gegen die Fesseln ankämpfte, zwei Gürtel, die um ihre Handgelenke geschlungen waren. Er wollte ihr helfen … erinnerte sich aber an das, was ihm sein Vater gesagt hatte.
Nicht einmal, wenn das Haus brennt
. Und dann stellte er sich einen kurzen Augenblick die
Schwierigkeiten
vor, die er bekommen würde und die so schrecklich waren, dass er den Blick nicht direkt darauf richten konnte.
    Eddie fing an zu weinen, weil er nicht wusste, was er tun sollte. Er hüpfte geradezu auf der Stelle und wollte nur, dass alles, was er sah und fühlte,
verschwinden sollte
. Er schluchzte. Und dann fing er an, sich in seinen eigenen Empfindungen zu verlieren, wie das manchmal bei ihm vorkam.
    Er wusste nicht, wie lange es angehalten hatte, aber es musste eine Weile gewesen sein, denn als er innehielt, sah er, dass Mary jetzt viel ruhiger war. Sie beobachtete ihn, lächelte fast und versuchte trotz des Knebels zu sprechen. Er konnte nicht verstehen, was sie sagte, aber es klang sehr beruhigend, und er begriff, was sie ihm sagen wollte.
    Alles war in Ordnung, und er brauchte sich nicht zu sorgen.
    Mach die Tür zu und geh wieder hinunter.
    Das tat er ein paar Minuten später, und an diesem Wochenende betrat er Marys Zimmer nicht wieder. Sie machte keine dumpfen Geräusche mehr, und er hörte auch nicht, dass sie sonst etwas tat.
    Am Montagmorgen wachte er sehr früh auf, und sein Vater stand in der Dunkelheit mit ernstem Gesicht neben seinem Bett. Eddie zuckte unwillkürlich zusammen. Es war ihm klar: Sein Vater
wusste
, dass er in das Zimmer seiner Schwester gegangen war, und er würde
Schwierigkeiten
bekommen.
    Ich hab’s nicht getan. Wirklich nicht. Ich bin nicht reingegangen.
    Die Angst war in seiner Vorstellung so groß wie ein Monster, und er machte fast ins Bett. Aber sein Vater sah nur mit einem Ausdruck der Enttäuschung auf ihn hinab, dann schüttelte er den Kopf.
    Was hast du getan, Eddie?
    Er fing an zu widersprechen, aber sein Vater legte den Finger auf die Lippen – schsch –, kniete dann neben dem Bett nieder und sah so traurig aus …
    Die Erinnerung daran hatte ihn seitdem jeden Tag eingeholt und brachte jedes Mal die gleichen Gefühle mit sich, die er damals empfunden hatte, als er sich an jenem Morgen zusammenkauerte, die Decke bis zum Mund hochzog und den Widerhall der Lüge, die ihm sein Vater zuflüsterte, in seinem Herzen spürte.
    Du hast sie sterben lassen.
     
    Dann hörte er es im beharrlichen Rauschen des Regens.
    Martinshörner.
    Das Geräusch kam aus der Entfernung, aber vorher war es nicht da gewesen. Kamen sie hierher? Was war passiert? Eddie wusste, dass er panisch reagierte, und zwang sich, ganz stillzuhalten, denn er wollte nicht, dass sein Vater ihn bemerkte. Die Martinshörner waren noch ziemlich weit weg, wurden aber lauter.
    Auch sein Vater hörte sie und legte den Kopf schräg wie ein Tier, das schnuppernd die Luft einatmet. In dem Regen sah er heruntergekommen aus, sein Hemd war patschnass und lag eng an seinem dünnen, aber kraftvollen Körper an. Mary verhielt sich neben ihm absolut still. Sie hielt die Hände vor dem Körper ineinandergepresst, und ihr Blick war auf etwas auf dem Boden gerichtet.
    Eddie sah, dass ihr Vater ihr etwas zuflüsterte und sie dann die Stufen zu seiner Haustür hinaufzog. Ihr Gesicht zeigte keinerlei Regung. Vielleicht stand sie unter Schock. Er konnte sich nicht vorstellen, was jetzt in ihrem Kopf vor sich ging, wenn überhaupt etwas.
    Und dann waren sie reingegangen.
    Sein Vater ließ die Tür ein wenig offen stehen.
    Eddie fing an zu weinen. Er verspürte wieder das Bedürfnis, sich ganz klein zu machen und auf und ab zu hüpfen. Er wollte sich in seinen Gedanken verlieren, damit all dies verschwand.
    Er hatte gedacht, er

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