Tote Stimmen
Blautöne, und es war so sonnig, dass der Garten sanft zu flirren schien. Wenn ich einatmete, roch das Gras stark, warm und süß, und als wir unten angekommen waren, musste ich die Mücken verjagen, und die Luft war so heiß, als würde man den Dampf von einem Spiegel wegfächeln. Als ich hinter Owen über den Zaun stieg, schwitzte ich schon.
Wir gingen ein Stück in den Wald hinein. Die Grasfläche machte der ausgetrockneten braunen Walderde Platz.
Und plötzlich wurde es überall dunkel.
Aber es war nicht wegen der Bäume. Das Sonnenlicht fiel noch zwischen den Zweigen durch, malte helle Tupfen auf den Boden und blitzte zwischen den Umrissen der Blätter hervor.
Ich erinnere mich, dass ich den Blick hob, um nachzuschauen. Dies war eine andere Dunkelheit. Sie kam von innen. Ein Gefühl, dass etwas
nicht stimmte
. Und je weiter wir gingen, desto schlimmer wurde es – als sei meine Seele in den Schatten getreten. Ein Sturm kam auf, und ich spürte, dass in der Ferne eine riesige grollende Wolkenbank sich langsam auf mich zubewegte …
Ich blieb stehen. Owen nahm es erst einen Moment später wahr und drehte sich um.
»Was ist los mit dir? Du bist ja ganz blass.«
»Ich will zurück.«
»Hä? Vor fünf Minuten wolltest du unbedingt mitkommen.«
Ich schaute zwischen den Bäumen nach oben und wusste nicht, wovor ich Angst hatte.
»Etwas stimmt nicht«, sagte ich.
»Was? Mann! Warum musst du so ein Baby sein?«
Dass er so stichelte, hätte mich normalerweise wütend gemacht, ich hätte meine Hände zu kleinen Fäusten geballt und ein finsteres Gesicht aufgesetzt. An jenem Tag aber nahm ich davon kaum Notiz.
»Etwas Schlimmes wird passieren«, sagte ich.
Er starrte mich einen Augenblick an, und ich konnte den Ausdruck auf seinem Gesicht lesen.
Warum nur werde ich mit diesem Kind gestraft?
»Geh nach Hause, wenn du willst«, sagte er. »Ich hab dich ja nicht gebeten mitzukommen, oder?«
Er drehte sich um und lief weiter.
»Owen.«
»Halt die Klappe.«
Ich stand da und sah ihn weitergehen, und alles in mir schrie, ich solle ihn aufhalten oder mit ihm gehen und versuchen, das abzuwenden, was geschehen würde.
»Owen!«
»Halt die Klappe, Baby.«
Dann hörte ich etwas, aber nicht mit den Ohren. Es klang ein bisschen wie ein Donnern nach einem Blitz, aber es war ja ein schöner Tag und keine Wolke am Himmel.
Hier nun das, was passierte. Und auch das, was nicht passierte. Das Geräusch ließ mich loslaufen, aber in die falsche Richtung.
Ich drehte um und rannte so schnell ich konnte nach Hause. Und ich sah ihn nie wieder.
Ich hatte natürlich genug Zeit, darüber nachzudenken.
Jetzt, wo ich älter bin, verstehe ich das, was an jenem Tag geschah, viel besser. Ich kann es rechtfertigen und erklären. Tatsächlich ist es mein Job, genau das zu tun. Ich kann Ihnen heute alles über die Bestätigung einer Vorahnung und über den Zufall erzählen. Und dass ich mich nur daran erinnere, weil mich das, was später passierte, motivierte, mich darauf zu konzentrieren und es zu etwas Größerem und Wichtigerem zu machen als dem Tagtraum, der es in Wirklichkeit war. Ein tragisches Ereignis wirkt sich so aus; danach nimmt alles Bedeutung und Gewicht an. In der Realität war es wahrscheinlich nur ein leicht unbehagliches Gefühl, eines, das mein Unterbewusstsein im Lauf der Jahre ausgearbeitet und vergoldet hatte. Vielleicht bekam ich auch nur gerade Kopfweh und habe das seitdem vergessen.
Tatsache ist, dass ich es nie wissen werde.
Auf jeden Fall bin ich mir sicher, dass es keine übersinnliche Vorahnung war. Es gab nichts, was ich aufgrund dessen hätte tun können oder sollen. Es stand nicht in Verbindung mit Owens Tod, und deshalb brauchte ich mich nicht schuldig zu fühlen oder mir etwas vorzuwerfen, denn es gab keinen Grund dafür.
Ich weiß das, aber die Lektion, die ich damals lernte, blieb mir erhalten.
So läuft es. Die Dinge, die wichtig sind, gehen unter, wenn man es zulässt.
»Dave, wach auf.«
Jemand schüttelte mich. Ich machte die Augen auf und sah, dass ein Kegel des morgendlichen Lichts gelb wie Butter durchs Dachfenster hereindrang. Sarah saß fertig angezogen in der Sonne, hatte ihre Hand auf meine Schulter gelegt und sah besorgt aus.
»Was denn?«, sagte ich.
»Du hattest einen Alptraum.«
»Echt?« Mein Mund war zu trocken. Ich machte den Versuch, mich aufzusetzen, stützte mich auf den Ellbogen, nahm mein Glas Wasser vom Nachttisch und trank davon. »Ich erinnere mich
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