Tote Stimmen
ersten Stock eines ziemlich vornehmen Häuserblocks in der Stadtmitte. Alles an dem Gebäude war fein abgestimmt und neu, von den Holzschränken der Büros über die schönen Teppiche und die gepflegt gestrichenen Flure bis zu den Zimmerpflanzen und den nichtssagenden, abstrakten Aquarellen an den Wänden. Hinter dem Gebäude konnte man sicher parken, im oberen Stockwerk waren Besprechungszimmer, und auf den Fluren gab es Zeitschriften und Wasserspender. In der Rezeption unten hing unser Namensschild ein wenig unsicher zwischen denen von Web-Designern, Übersetzungsbüros und Rechnungsprüfern. Die meisten von ihnen verdienten an einem Tag mehr, als wir in einem ganzen Monat in die Finger kriegten. Wir konnten es uns eigentlich nicht leisten, aber es war gut, einen Stützpunkt zu haben.
Als ich endlich ankam, war es fast eins. Rob war am Telefon, reagierte aber auf mein Kommen, indem er mit dem Stift winkte und einen tadelnden Blick auf seine Uhr warf. Ich war dabei, Kaffee aus einer kleinen Plastiktasse zu trinken, als er auflegte.
»Guten Tag«, sagte er laut. »Hat dir die Vorstellung gestern Abend gefallen? Ich habe heute früh mit Nathan gesprochen, und er sagte, mit Andrew und der Halskette sei alles nach Plan verlaufen. Genau ins Schwarze getroffen, sozusagen.«
»Ja. Wir haben ihn erwischt.«
»Nathan sagte auch, dass du am Ende nicht mehr da warst. Du solltest ihn doch treffen, oder? Um ein paar Sätze von ihm einzufangen. Ich dachte, das hätten wir so verabredet?«
»Ja, stimmt.« Das hatte ich vergessen. »Es tut mir leid. Etwas ist passiert.«
»Etwas? Was denn?«
Ich sah zu ihm hinüber. Er hatte diesen bestimmten Gesichtsausdruck, der hieß, dass er nicht lockerlassen würde, bis er die Wahrheit aus mir herausgekriegt hatte, und dass er fürchtete, sie würde ihm nicht besonders gefallen.
»Hier«, sagte ich.
Das Aufnahmegerät stand auf dem Schreibtisch vor mir. Ich hatte mir die Aufnahme am Morgen noch einmal angehört, wählte jetzt den entsprechenden Teil aus und ließ ihn laufen. Thom Stanleys letzter Auftritt vor der Pause war hier im Büro zu hören. Die Aufnahme war ziemlich gut, man konnte jedes Wort verstehen, und ich behielt Rob im Auge, um zu sehen, wie er reagierte. Er hielt einen Stift in der Hand und stieß mit den Fersen langsam den Stuhl an, so dass er sich hin und her drehte. Er ließ sich nichts anmerken. Außer als Sarah fragte, ob mit mir alles in Ordnung sei, da verzog er das Gesicht.
»Das ist Quatsch«, sagte er schließlich. »Ich hoffe, du weißt das.«
»Ja. Aber in dem Moment hat es mich beeindruckt.«
»Ich habe dich davor gewarnt.«
»Da ist noch was anderes. Ich habe eine merkwürdige SMS von ihr bekommen.«
»Von Tori? Vielleicht wie die tausend anderen merkwürdigen Anrufe von ihr?«
»Nein, nicht wie die.«
Ich ging hinüber und zeigte ihm die Nachricht.
»Zu der Zeit ist sie nie auf«, sagte ich. »Plus, sie schließt ihre SMS immer auf die gleiche Art, mit ›Tor xx‹, wie zwei Küsschen. In der ganzen Zeit, seit ich sie kenne, hat sie jede einzelne SMS so abgeschlossen.«
Das war es, was damit nicht stimmte.
In der Anfangszeit unserer Zeitschrift hatten Rob und ich einer Séance beigewohnt, die überzeugender war als die meisten. Wir hatten einen »Geist« angelockt, der behauptete, er sei der Großvater eines Mädchens, das anwesend war, sich aber nicht überzeugen ließ und große Angst bekam. Das Problem war nicht, dass sie nicht an den Geist glaubte, sondern sie glaubte nicht, dass er ihr Großvater war. Sie meinte, er sei jemand anders und gebe sich nur als ihr Großvater aus.
Rob hatte sich später insgeheim über sie lustig gemacht, aber ich brachte das nicht über mich.
Ich wusste, dass es Unsinn war, aber der Gedanke daran entnervte mich. Man braucht nicht daran zu glauben, um es unheimlich zu finden. Was sie sagte, hatte mich nachdenklich gemacht. Wenn es nicht ihr Großvater war, was nahm dann mit ihr Verbindung auf? Und wo war ihr Großvater?
Das gleiche Gefühl hatte ich, als ich mein Handy betrachtete.
Aber wenn es sich so verhielt, von wem war dann die Nachricht, und wo war Tori?
Rob schaute vom Telefon hoch und starrte mich an. Wollte ich ihn auf den Arm nehmen?
»Mache ich mich lächerlich?«
»Ja, allerdings.«
Er gab mir das Handy zurück und seufzte.
»Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Hast du ihr noch eine SMS geschickt?«
»Natürlich. Ich habe eine Nachricht hinterlassen, dass sie sich mit mir in
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