Tote Wasser (German Edition)
konnte man die ganze Küste entlang und über die Bucht sehen, über Raven’s Head bis nach Moussa. Der Ausblick nahm Perez kurz gefangen. Bisher war er immer nur bei Dunkelheit hier oben gewesen.
Peter Markham stand auf. «Haben Sie Neuigkeiten für uns, Jimmy?»
«Ich bin nicht in die Ermittlungen eingebunden», sagte Perez. «Zumindest nicht offiziell. Ich wollte Ihnen nur sagen, wie leid es mir tut.» Er bemerkte, dass Maria sich nicht gerührt hatte. Als er ins Zimmer getreten war, hatte sie kurz aufgeblickt, doch jetzt blieb sie unbeweglich in ihrem Sessel sitzen. Er fand, dass sie über Nacht gealtert war. Vielleicht ja, weil sie nicht geschminkt war. Sonst trug sie die Augen immer schwarz umrandet. Fran hatte einmal gesagt, dass sie Maria gern malen würde. ‹Sie erinnert mich an eine Flamencotänzerin. Erfahren und gefühlvoll. Findest du nicht?› Und wieder hatten sie zusammen gelacht und Witze darüber gemacht, dass Jimmys und Marias Ahnen womöglich aus derselben Gegend Spaniens stammten. Der Legende nach war einer von Perez’ Vorfahren ein Überlebender der
El Gran Grifon
, eines Schiffs der spanischen Armada, das auf Fair Isle Schiffbruch erlitten hatte. Und weshalb hätte es nicht auch andere Überlebende geben sollen, andere Liebschaften zwischen Seemännern und einheimischen Mädchen?
«Bitte, setzen Sie sich», sagte Peter. Er durchquerte den Raum und versperrte damit den Ausgang für Perez. Offenbar brauchte er Gesellschaft, jemanden zum Reden, und wollte den Besucher nicht so schnell wieder entwischen lassen. «Ich mache uns Kaffee. Sie trinken doch einen Kaffee mit uns, Jimmy?»
Perez nickte und sagte: «Ja, gern.» Er setzte sich mit dem Rücken zum Fenster, um nicht von dem Ausblick abgelenkt zu werden, von all der Weite.
«Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn ich ein paar Fragen stelle?» Er sprach Maria direkt an. Peter konnte sie hören, war aber in der kleinen Küche, die an das Wohnzimmer grenzte, die Tür sperrangelweit offen.
Sie blickte auf. «Nein», sagte sie. «Fragen Sie nur.» Man sah ihr deutlich an, dass ihr im Moment alles gleichgültig war. Perez wusste genau, wie ihr zumute war.
«Gibt es irgendjemanden, der Jerry etwas hätte antun wollen?»
«Natürlich nicht. Wieso denn auch?»
«Auch keine Freundin, die er sitzengelassen hat?» Perez behielt einen freundlichen Ton bei.
«Er meint Evie», rief Peter von der Küche herein, noch bevor seine Frau antworten konnte. «Daran denken Sie doch, Jimmy, oder?»
«Ich habe gehört, dass sie schwanger war und dass ihre Eltern nicht gerade glücklich darüber gewesen sind.»
«Solche Rohlinge.» Auf einmal war Marias Stimme sehr laut. «Die sind hergekommen und haben eine Szene gemacht. Der Vater hatte Schaum vorm Mund, wie ein tollwütiges Tier. Als wäre Jerry allein dafür verantwortlich gewesen und das Mädchen hätte mit all dem nichts zu tun gehabt. Aber Evie war schon immer sein Ein und Alles.»
«Das ist Jahre her.» Peter Markham kam mit einem Tablett, auf dem der Kaffee stand. Er stellte es auf ein niedriges Tischchen. «Evie ist dann auf die Uni gegangen, und Jerry hat den Job in London bekommen. Die Eltern haben sich wieder beruhigt. Ich habe Francis Watt erst letzte Woche in Lerwick gesehen, und er hat sich beinahe schon gesittet benommen.»
«Sie hat das Kind verloren», sagte Perez.
«Ja, das haben wir gehört.» Peter beugte sich über das Tischchen, um den Kaffee einzuschenken, und Perez bekam nicht heraus, was er dabei fühlte, seine Chance, Großvater zu werden, verpasst zu haben. «Nicht von Evie selbst, sondern durch Dritte. Wie das hier auf den Shetlands eben so ist. Irgendwann erfährt man alles.»
«Dann hat sie Jerry nicht erzählt, dass sie eine Fehlgeburt hatte?» Perez fand es seltsam, dass die Eltern das nicht durch ihren Sohn erfahren hatten.
«Ich glaube nicht, dass sie zu der Zeit noch viel Kontakt zueinander hatten. Wissen Sie, sie war sehr verliebt in ihn. Sie war noch jung, und es hat sie sehr verletzt, dass alles anders lief, als sie gehofft hatte.»
«Sie war ein dummes Ding», sagte Maria. «Ihr hätte klar sein müssen, dass Jerry sich für eine richtige Beziehung eine Frau suchen würde, die mehr zu bieten hatte als sie. Sie hat fast ihr ganzes Leben auf Fetlar verbracht. Was sollte er schon an ihr finden?»
«Nun ja.» Peter strich seiner Frau über den Handrücken, vielleicht wollte er sie beruhigen und davon abhalten, so böse über das Mädchen zu sprechen. «Sie war ein
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