Tote Wasser (German Edition)
Böen ans Fensterglas. Jimmy merkte, dass er Hunger hatte. Das war so ungewöhnlich – in diesen Tagen musste er sich zu jedem Bissen zwingen – dass er die Empfindung zuerst gar nicht erkannte. Dann dachte er, dass ihm ein Teller hausgemachter Suppe in der Bar des Ravenswick Hotel nicht schaden könne. Das Brot dort wurde noch selber gebacken und mit Butter von den Shetlands serviert. Importierte Butter schmeckte nie so gut. Das Wasser lief ihm im Mund zusammen. Er beschloss, zu Fuß hinunterzugehen. Der Schauer würde rasch weiterziehen und, wer weiß, vielleicht bekam er in der Bar ja auch Lust auf ein oder zwei Glas Bier.
Bis er in Schuhe und Jacke geschlüpft war, hatte der Regen schon wieder aufgehört. Die Sonne brach durch die Wolken und schien wie Theaterscheinwerfer aufs Wasser. Er zog die Haustür hinter sich zu und ging langsam den Hang hinab.
Hinter dem Tresen an der Rezeption stand Stuart Brodie. «Peter und Maria sind für niemanden zu sprechen», sagte er. «Aber wenn Sie hochgehen, ist das bestimmt in Ordnung. Sie sind sicher wegen ihres Sohnes da. Soll ich oben anrufen und Bescheid sagen, dass Sie im Hotel sind?»
Perez schüttelte den Kopf.
«Ich bin zum Mittagessen hergekommen», sagte er. «Aber ich hätte nichts dagegen, ein wenig mit Ihnen zu sprechen, wenn Sie Zeit haben. Können Sie eine Pause machen?»
«In einer halben Stunde.» Brodie warf einen Blick auf die Standuhr in der Empfangshalle. «Es ist ganz schön was los. Ständig rufen Reporter aus dem Süden an, um ein Zimmer zu reservieren. Anscheinend war Jerry da unten bekannt wie ein bunter Hund. Dabei hatten wir auch vorher schon jede Menge zu tun.»
«Wollen Peter und Maria das Hotel während der Ermittlungen denn weiter betreiben?» Perez konnte sich nicht vorstellen, wie das gehen sollte. Wollten sie etwa in ihrem Apartment da oben wohnen bleiben, im Bewusstsein, dass nur einen Stock unter ihnen die Leute tranken und lachten und Mutmaßungen darüber anstellten, was mit ihrem Sohn passiert war?
Brodie zuckte die Schultern. «Sie haben mir keine anderen Anweisungen gegeben, also mache ich einfach meine Arbeit.»
In der Bar war nichts los. Die Journalisten aus London waren noch nicht eingetroffen, und die Einheimischen hielten sich taktvoll zurück. Sie wollten nicht, dass man sie für sensationslüstern hielt. Die anderen Hotelgäste waren schon wieder unterwegs, bis auf ein paar Lotsen in Uniform, die gerade ihren Kaffee tranken. Perez bestellte eine Kartoffel-Lauch-Suppe und ein Glas Ale der Marke White Wife, das auf Unst gebraut wurde. Das Bier schmeckte ihm besser, als er je für möglich gehalten hätte, und er genoss es wie einen teuren Wein. Brodie höchstpersönlich servierte ihm die Suppe. Als er hereinkam, standen die Lotsen auf und gingen, sodass die beiden die Bar für sich hatten.
«Annie kann jetzt für mich einspringen», sagte Brodie. «Oder wollen Sie lieber in Ruhe essen?»
Das hätte Perez in der Tat lieber getan, doch wollte er das nicht sagen. Er bedeutete dem Mann, sich zu ihm zu setzen, schmierte Butter auf ein Stück Brot und tunkte es in die Suppe. «Darf ich Sie auf ein Bier einladen?»
«Nee», sagte Brodie. «Ich habe heute Nachmittag Dienst.»
«Wann ist Jerry Markham angekommen?»
«Donnerstagmorgen mit der ersten Fähre. Ist mit seinem schicken Wagen vorgefahren, mit quietschenden Reifen, und Peter und Maria sind mit ihm in den Speisesaal gegangen, um zusammen zu frühstücken. Die Rückkehr des verlorenen Sohnes. Das Beste war gerade gut genug für ihn. Der Speisesaal war voll, und unser Koch war nicht gerade begeistert. Aber Jerry schien irgendwie nicht wie sonst. War irgendwie ruhiger. Ich fragte mich schon, ob er vielleicht krank war.»
«War er denn ein verlorener Sohn?» Perez tauchte ein weiteres Stück Brot in die Suppe. Es war schon merkwürdig, wie leicht ihm die Fragen wieder zuflogen.
Erneut zuckte Brodie mit den Schultern. Er verfügte über einen großen Vorrat von ausdrucksstarken Arten, mit den Schultern zu zucken. «Als er damals weggegangen ist, wurde viel über ihn geredet», sagte er. «Er hat eins von den Zimmermädchen hier geschwängert. Das ist zwar heutzutage keine große Sache mehr, aber die Kleine war naiv und unschuldig. Ist auf Fetlar aufgewachsen, in einer sehr gläubigen Familie. Sie hat wahrscheinlich nicht erwartet, dass er sie heiraten würde, aber dass er sie mehr unterstützte, als er es dann tat, wünschte sie sich wohl doch. Und die Eltern
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