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Tote Wasser (German Edition)

Tote Wasser (German Edition)

Titel: Tote Wasser (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Cleeves
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Perez zählte die Stunden bis Sonntagabend, wenn Cassie heimkommen würde. Er zählte buchstäblich jeden einzelnen Moment, war sich jeder Minute bewusst. Das leere Haus war ihm zuwider, und er konnte sich zu nichts aufraffen. Wenn Cassie da war, wurde er abgelenkt, dann hatte er Pflichten. Es gab Tage, da nervte sie ihn so, dass er hätte schreien mögen, doch wenn sie da war, konnte er sich nicht dem Selbstmitleid überlassen, das immer am Rande seines Bewusstseins schwebte und nur darauf wartete, die Kontrolle über ihn zu gewinnen. Er war erst in den frühen Morgenstunden eingeschlafen und wachte am Samstagmorgen trotzdem schon um sechs Uhr wieder auf. In den Nachrichten auf
Radio Shetland
brachten sie einen Beitrag über den Toten aus der Jolle in Aith. Sie wussten offenbar immer noch nicht, wer er war, was ihm merkwürdig vorkam. Es war erst Anfang der Saison, da waren noch nicht viele Touristen auf den Shetlands, und wenn der Tote von hier kam, müssten Sandy und sein Team doch innerhalb von wenigen Minuten herausfinden können, wer es war. Vielleicht hatten sie den Angehörigen die Nachricht ja noch nicht überbracht und hielten den Namen deshalb geheim. Jimmy dachte, dass es womöglich falsch gewesen war, gestern Abend nicht mit Sandy nach Aith gefahren zu sein. Auch das hätte ihn abgelenkt. Aber zurzeit schien ihn alles so viel Energie zu kosten. Der Arzt meinte, das sei eine Depression; Perez betrachtete es eher als eine Art Leerlauf.
    Gegen Mittag rief Reg Gilbert bei ihm an. Jimmy hatte das Bett gemacht und das Geschirr vom Vorabend abgewaschen, doch viel mehr hatte er nicht geschafft. Das Klingeln des Telefons erschreckte ihn, und er sah den Apparat ein paar Sekunden lang an, bevor er abhob.
    «Ja, bitte?» In gewisser Hinsicht war das schon ein Fortschritt. In den ersten Monaten nach Frans Tod hätte er es einfach läuten lassen.
    «Jimmy, was halten Sie von dem Markham-Mord?» Der Anrufer stellte sich nicht vor. Brauchte er nicht. Regs nasalen Mittelenglandakzent erkannte Jimmy sofort.
    «Ich bin dieses Wochenende nicht im Dienst. Ich kann Ihnen nicht weiterhelfen.» Er stieß diese Worte knurrend hervor und wollte schon wieder auflegen, als ihn eine plötzliche Neugier davon abhielt. Auf eine gewisse Art war er mit Peter und Maria Markham befreundet. Dennoch regte sich bei dieser Neuigkeit kein Gefühl in ihm. Nichts ging ihm mehr wirklich nahe. Doch aus Wissbegier musste er einfach fragen. «Wer von beiden wurde denn umgebracht?»
    «Keiner von den Eltern», sagte Reg. «Es handelt sich um Jerry, den Sohn. Der nach London ging, vielleicht erinnern Sie sich ja, und einen Job bei einer der seriösen Zeitungen ergattert hat.» Regs Tonfall klang abfällig. Seiner oft geäußerten Meinung zufolge waren Lokalreporter die wahren Helden des Zeitungswesens, nicht die Wichtigtuer aus London. «Man hat ein Team aus Inverness hergeschickt.»
    «Natürlich», entgegnete Perez scharf. «Was sonst? Das passiert immer bei einer Mordermittlung.» Er dachte an die Aufregung bei solchen Ermittlungen, wenn Sandy hektisch herumrannte und die Staatsanwältin aus sicherer Entfernung zusah und darauf wartete, dass sie einen Fehler machten. Er dachte an die Zeugenbefragungen und daran, wie sich das Geheimnis dann langsam lüftete. Einen Augenblick lang bedauerte er, nicht mit den anderen in Aith zu sein, Tee aus der Thermoskanne zu trinken und die Schokoladenkekse weiterzureichen. Doch dieser Augenblick verflog schnell. Ihm fehlte einfach die Energie, und er wollte da nicht hineingezogen werden.
    «Verantwortlich für die Ermittlungen ist eine Frau», fuhr Reg fort.
    «Dann sollten Sie wohl besser mit der sprechen.» Perez wollte diesem Gefühl der Wehmut, das ihn einen Mord beinahe schon als eine Art von Unterhaltung betrachten ließ, nicht nachgeben. Nach allem, was auf Fair Isle passiert war, war das einfach krank. «Wie ich schon sagte, dieses Wochenende bin ich nicht im Dienst.»
    «Bin mal gespannt, wie die Staatsanwältin damit umgeht, dass die Ermittlungen von einer Frau geleitet werden», sagte Reg. Er tat einfach, als wäre Perez stumm geblieben. «Unsere gute Rhona hält sich doch immer für die Allerwichtigste.»
    Perez wollte schon sagen, dass es ihm herzlich egal war, was die Staatsanwältin dachte; doch stattdessen legte er einfach den Hörer auf.
    Vom Küchenfenster aus warf er einen Blick hinunter auf das Ravenswick Hotel. Aus dem Süden trieb ein heftiger Schauer heran, und der Regen schlug in schrägen

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