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Tote Wasser (German Edition)

Tote Wasser (German Edition)

Titel: Tote Wasser (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Cleeves
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man aus dem Hügel gestochen hatte, um das Gelände dafür zu schaffen. Während das Öl langsam zur Neige ging, hatte man Gasvorkommen entdeckt, und auf den Shetlands war diese neue Energiequelle begeistert begrüßt worden. Das Gas bedeutete Arbeitsplätze. Lastwagen einheimischer Unternehmer brachten schon Steine aus dem Steinbruch von Sullom herbei, um das Fundament des neuen Werks zu legen. Hotels, Gästehäuser und Privatunterkünfte waren überfüllt von Arbeitern aus dem Süden. Die Immobilienpreise stiegen wieder. Das Gas bedeutete Geld.
    Markham ging den Hügel hinab und sprang über ein paar Torfgräben, um zu seinem Wagen zu gelangen. Er hatte ihn am Ende eines Fahrwegs abgestellt, der an der Flugpiste vorbeiführte. Auch hier wurde gebaut: Markham sah die Metallrippen eines neuen Kontrollturms. Das Flugzeug, das seine Passagiere ausgespuckt hatte, lud bereits wieder neue ein. Während er an den Männern vorüberfuhr, die vor dem Treppchen Schlange standen, um zuzusteigen, war ihm bewusst, dass sie ihn anstarrten. Auf den Shetlands gab es nicht viele Autos wie seinen Alfa. Er spürte und genoss ihr Erstaunen und ihren Neid und fragte sich, was Annabel wohl davon halten würde.
    Er nahm die Straße, die entlang der Bucht gen Süden nach Brae führte. Eine halbe Meile vom Terminal entfernt deutete nur noch eine gelbe Boje in der Mitte der Wasseroberfläche darauf hin, dass hier Öl verladen wurde. Sollte es zu einem Auslaufen des Öls kommen, würde man eine schwimmende Sperre an der Boje festmachen, die verhindern sollte, dass der empfindliche Salzsumpf am Ende der schmalen Bucht verseucht wurde. Doch die Tanker und Anlegestellen, die Büros der Hafenmeisterei, die Flugpiste und das neue Gasterminal, all das wurde bereits von einer Hügelkuppe verdeckt. Jetzt konnte man nur noch Schafe, Möwen und Raben sehen und die Brachvögel hören.
    Am Ende der Bucht von Sullom erreichte er die Gemeindegrenze von Brae und bremste leicht ab, um auf die Hauptstraße aufzufahren. In Brae waren mehr Zeichen der Ölindustrie zu erkennen: Es gab ein paar Straßenzüge mit Häusern, die die Gemeinde als Unterkünfte für die Arbeiter errichtet hatte. Sie waren grau und zweckmäßig, und die Touristen, die gekommen waren, um pittoreske Landschaften zu sehen, hassten sie. Die Shetlands waren nicht pittoresk. Sie waren ungezähmt und karg und überwältigend, und alles Pittoreske wäre hier fehl am Platz gewesen.
    Kurz hinter Brae geriet er in eine Nebelbank. Den ganzen Tag über war es schon diesig gewesen, windstill und mit diesem grauen Nieselregen, der einem durch Haut und Knochen zu dringen schien. Doch plötzlich konnte er kaum mehr sehen, dass die Straße vor ihm eine Kurve machte. Auf der anderen Fahrbahn kam ihm ein Paar Scheinwerfer ganz langsam entgegen und schwebte durch den Nebel an ihm vorbei. Den Motor des vorübergleitenden Wagens konnte er nicht hören. Er hatte das Gefühl, dass es außerhalb der Kapsel seines Autos nichts mehr gab auf der Welt. Kein Geräusch. Keine Sicht. Dann tauchte auf einmal ein weiteres Paar Scheinwerfer auf, diesmal von links, sehr schnell, und es kam beinahe genau auf ihn zu. Er bremste scharf und lenkte zur Seite, um auszuweichen. Selbst bei diesem Nebel war er noch zu schnell gefahren, und er hörte das Quietschen der Reifen auf dem Asphalt und spürte, wie er die Kontrolle über den Wagen verlor. Aber immer noch dämpfte der Nebel die Geräusche. Es war, als wäre er in einem Traum ins Schleudern geraten. Oder in einem Albtraum. Einen Augenblick lang blieb er zitternd sitzen.
    Dann siegte die Wut über den Schrecken. Er versuchte, sie zu beherrschen, tief einzuatmen und ruhig zu bleiben, doch es gelang ihm nicht. Irgend so ein Vollidiot hätte ihn fast gerammt und beinahe umgebracht. Hätte ihm beinahe den Wagen zu Schrott gefahren, was im Moment noch wichtiger war. Die Scheinwerfer des Autos, das ihn von der Straße gedrängt hatte, waren jetzt ausgeschaltet, und er hatte nicht gehört, dass der Verrückte weggefahren wäre. Er stieg aus dem Wagen und fühlte die Angriffslust in sich pulsieren wie eine Ader. Er wollte jetzt jemanden verprügeln. Seit Monaten hatte er einen solchen Drang nicht mehr verspürt, und die Wut durchströmte ihn wie eine Droge den Süchtigen, spendete ihm den altbekannten Trost, den Rausch der Erregung. Seit seiner Ankunft auf den Shetlands war er geduldig und höflich gewesen. Hatte seinen Ärger kontrolliert. Doch der hatte jetzt ein legitimes Ziel

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