Tote Wasser (German Edition)
gefunden, und Markham ließ alle Beherrschung fahren.
«Was zum Teufel ist denn in dich gefahren, du Arschloch?»
Keine Antwort.
Der Nebel war so dicht, dass er das Auto nicht erkennen konnte, lediglich einen dunklen Schatten. Darauf ging er nun zu, er hatte vor, die Tür aufzureißen und den dreisten Fahrer aus dem Wagen zu zerren. Da bewegte sich etwas hinter ihm, er spürte es mehr, als dass er es hörte, und wirbelte herum.
Wieder bewegte sich was. Ein Luftzug. Ein Pfeifgeräusch, wie wenn etwas durch die Luft geschwungen würde. Ein heftiger Schmerz. Dann nichts mehr.
Kapitel 3
R hona Laing machte sich einen Tee. Entkoffeinierten Earl Grey. Der Dorfladen in Aith hielt ihn mittlerweile extra für sie auf Vorrat. Sie wohnte in der ehemaligen Schule, einem soliden grauen Gebäude, von dem die Leute meinten, es sei zu groß für sie, eine alleinstehende Frau. Die Leute äußerten allerlei Meinungen über sie, und hin und wieder schnappte sie einen Zipfel der Gerüchte auf, die sie belustigten und manchmal auch ärgerten: dass sie alle sechs Wochen nach Edinburgh zum Friseur fliege, dass sie ein uneheliches Kind bekommen und zur Adoption freigegeben habe, dass es einen heimlichen Liebhaber gebe, der des Nachts, sobald es dunkel sei, mit dem Boot in den Jachthafen von Aith komme und am anderen Morgen wieder verschwinde. Ihr Grundsatz war es, diese Geschichten weder zu bestätigen noch zu leugnen.
In den ersten sechs Monaten, nachdem sie auf die Shetlands gezogen war, hatte sie sich nur mit dem Haus beschäftigt, und nun sah es endlich so aus, wie sie es wollte. Die Möbel waren maßgefertigt, sodass es im Haus aussah wie im Innern eines prächtigen Schiffs. Wie in der Kajüte des Kapitäns. Alles hatte seinen Platz. Das Büro der Staatsanwältin in Lerwick war genauso aufgeräumt. Unordnung und Chaos lösten körperliches Unwohlsein bei ihr aus.
Sie nahm den Tee mit ins Wohnzimmer und blickte die Böschung hinab auf die Bucht. Fast den ganzen Tag hatte dichter Nebel über dem Land gelegen, doch als sie von Lerwick nach Hause gefahren war, hatte er sich endlich verzogen, und jetzt war alles in klares Frühlingslicht getaucht. Wasser und grüne Hügel, so weit sie sehen konnte. Es war immer das gleiche Ritual, jeden Abend nach der Arbeit. Die Heimfahrt aus Lerwick, der Tee, und dann stand sie ein paar Minuten am Fenster und genoss den Ausblick. Auch im Winter, wenn es schon lange finster war. Gerade machte sich ein flacher Lastkahn auf den Weg zu den Lachskäfigen weiter draußen im Meer. Auf der Wasseroberfläche trieben Muschelleinen, die Schwimmer sahen aus wie schwarze Perlen an einer Kette. Alles war, wie es sein sollte. Doch dann sah sie, dass eine der Jollen, mit denen sie in der kommenden Saison die Regatten bestreiten wollten, in der Nähe des Jachthafens auf dem Wasser trieb. Dabei sollte sie doch auf dem grasbewachsenen Abhang liegen. Erst am letzten Wochenende hatten sie das Boot aus seinem Winterlager geholt. Es ging kein Wind, der es hätte in die Bucht wehen können. Rhona dachte, dass die Kinder aus dem Ort, die sich am Ende der Osterferien wohl langweilten, es aufs Wasser geschoben haben mussten; wahrscheinlich fanden sie es lustig, den Frauen der Rudermannschaft einen Streich zu spielen.
Rhona gehörte zu einem Team erfahrener Ruderinnen in Aith. Dies war das Einzige, was sie unternahm, um sich ins Gemeinschaftsleben einzugliedern. Sie war immer der Meinung gewesen, dass sie sich als Staatsanwältin etwas abseitshalten sollte. In einem Landstrich mit so wenig Einwohnern war es schwierig, Beruf und Privatleben auseinanderzuhalten, doch das Bedürfnis nach engen Freundschaften hatte sie ohnehin noch nie verspürt. Dass sie zu der Rudermannschaft gehörte, bedeutete ihr jedoch viel. Die Abende, an denen sie trainierten und danach noch ein paar Gläser Wein bei einer der Teamkolleginnen tranken. Die Regatten, wenn alle Ortsbewohner kamen, um sie anzufeuern. Sie hatte gedacht, die Beste und Ehrgeizigste in der Mannschaft zu sein, doch das hatte sich als Irrtum erwiesen – die Pächterin eines kleinen Hofs bei Bixter war ihr weit überlegen. Rhona schätzte die körperliche Anstrengung (die Besuche im Fitnessclub von Edinburgh fehlten ihr), und letztes Jahr war sie mit dem Fortschreiten der Saison immer besser geworden. Obwohl sie gerade erst von der Arbeit gekommen war und ihren Tee trinken wollte, fühlte sie sich verantwortlich für die Jolle, die mit der Flut aufs Meer hinaustrieb. Sie zog
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