Tote Wasser (German Edition)
eingesetzt, und nun war es an Sandy, für ihn in die Bresche zu springen. «Dann kommst du besser rein.»
Im Haus sah es beinahe genauso aus wie zu Frans Zeiten. An den Wänden hingen ihre Bilder, neben denen, die Cassie gemalt hatte. Über dem Kamin war ein großes Foto von allen dreien. Die Frau darauf lachte mit zurückgeworfenem Kopf, und Sandy spürte, wie ihm die Tränen in die Augen traten. Fran Hunter war immer nett zu ihm gewesen.
«Magst du einen Kaffee?», fragte Perez. «Alkohol habe ich keinen im Haus. Ich trau mir selbst nicht über den Weg.»
«Kaffee ist prima.» Sandy sah zu, wie Perez einen Becher holte und die Milch aus dem Kühlschrank nahm. «Es hat einen Mord gegeben», sagte er. «Die Staatsanwältin hat am Jachthafen von Aith in einer der Jollen für die Regatten eine Leiche gefunden. Du weißt doch, dass sie mit den anderen Frauen rudert.» Er wartete auf Antwort. Der alte Jimmy hätte jetzt die Augenbrauen hochgezogen und einen Witz über die Staatsanwältin und über die Zeit, die sie auf dem Wasser verbrachte, gerissen.
Doch heute stellte Perez nur vorsichtig den Kaffeebecher auf den Tisch und sah Sandy an.
«Ich bin krankgeschrieben», sagte er. «Einer solchen Sache bin ich noch nicht gewachsen.»
«Dann hat es keinen Sinn, deine Zeit zu verschwenden.» Sandy stand auf und ging zur Tür. «Die Eiserne Jungfrau will, dass ich nach Aith komme, in der Hoffnung, dass ich die Leiche identifizieren kann. Du weißt ja, wie sie ist, wenn man sie warten lässt. Ich dachte nur, du solltest Bescheid wissen, das ist alles. Ich dachte, es wäre …», er hatte Mühe, das richtige Wort zu finden, «… angebracht, dich zu informieren.»
Wieder sah Perez überrascht aus, aber nicht verärgert oder gereizt. Normalerweise lehnte Sandy sich nicht gegen ihn auf. Normalerweise lehnte Sandy sich gegen niemanden auf. Und er wusste doch, dass Jimmy zurzeit auf alles ganz automatisch mit Wut reagierte.
«Tut mir leid.» Perez schüttelte den Kopf. Versuchte er, einen klaren Gedanken zu fassen? Oder drückte die Geste eine gewisse Verzweiflung aus? Dann, nach einer kleinen Pause, sagte er: «Es war richtig, dass du gekommen bist und mir Bescheid gegeben hast.»
Einen Augenblick lang blieb Sandy auf der Türschwelle stehen. Der Leuchtturm von Raven’s Head war jetzt eingeschaltet, und der Lichtstrahl wanderte über seinen Kopf hinweg. Er fragte sich, ob Perez nicht doch im letzten Moment seine Meinung ändern und versucht sein würde, mit ihm nach Aith zu fahren. Bestimmt war er neugierig. Die Neugier hatte Jimmy schon immer angetrieben, seine Fälle zu Ende zu bringen. Und für eine Sekunde wirkte Perez tatsächlich interessiert.
«Wen schicken sie von Inverness?», fragte er.
«Eine Frau.» Sandy fühlte sich leichter, bekam plötzlich Lust loszulegen. «Eine Frau mit einem komischen Namen. Aber wir haben noch die ganze Nacht, um alles zu regeln, bevor sie herkommt.»
«Na dann viel Glück.» Und Perez ging zurück ins Haus und machte die Tür zu. Drinnen schaltete er das Licht ein, und durch das Fenster sah Sandy ihn mit gebeugten Schultern am Küchentisch sitzen, den Kopf tief über den Kaffeebecher gesenkt, sodass er wirkte wie ein alter Mann. Es war, als hätte Perez kurz das Gefühl gehabt, wieder zum Leben zu erwachen, und als hätte ihm dieses Gefühl nicht gefallen. Als hätte es ihm zu sehr weh getan.
Kapitel 5
A ls Sandy in Aith ankam, war es schon dunkel. Er hatte länger gebraucht als erwartet, weil er auf der schmalen Straße zwischen Bixter und Aith hinter einen Bus mit jungen Frauen auf einem Junggesellinnenabschied geraten war, der im Schneckentempo fuhr. Einmal hatte er sogar angehalten, um eins der Mädchen rauszulassen, das sich am Straßenrand übergeben musste. Sie war am Bein mit ihrer Freundin zusammengebunden, als wollten sie ein Dreibeinrennen veranstalten, und es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis die beiden aus dem Bus geklettert waren. Zu jeder anderen Zeit hätte Sandy seine Freude daran gehabt. Junggesellinnenabschiede auf den Shetlands waren immer ein großer Spaß. Doch heute Abend machte es ihn ganz wahnsinnig, und er hupte ununterbrochen, bis der Bus endlich zur Seite fuhr und ihn vorbeiließ.
An der Zufahrt zum Jachthafen von Aith stand ein Polizist, der seinen Wagen erkannte und ihn durchwinkte. Sandy hatte angenommen, dass die Staatsanwältin schon nach Hause gegangen wäre, doch sie war immer noch vor Ort, in Jeans und Regenjacke, eine Strickmütze auf dem
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