Tote Wasser (German Edition)
arbeitet in Teilzeit», sagte Sandy. «Er ist noch in ärztlicher Behandlung.»
«Wird er das hier übernehmen können?» Die Stimme des Polizeichefs klang unsicher.
«Ich denke, er möchte darüber informiert werden», sagte Sandy. «Bestimmt wäre er ziemlich sauer, wenn eine solche Sache in seinem Bezirk passiert und er nichts davon erfährt.» Das war ihm gerade erst eingefallen, aber jetzt war er sich sicher, dass es stimmte.
«Dann machen Sie das, Sandy, ja? Sie informieren ihn. Ich will nicht, dass Perez zufällig von der Sache erfährt und meint, wir hätten ihn absichtlich außen vor gelassen. Zurzeit kann er ziemlich reizbar sein.»
Sandy legte den Hörer auf und spürte, wie ihm die Entscheidungen, die er zu treffen hatte, über den Kopf wuchsen. Die Staatsanwältin erwartete ihn in Aith, was eine gute halbe Stunde Autofahrt Richtung Norden bedeutete, und der Polizeichef wollte, dass er mit Jimmy Perez sprach, der in Ravenswick wohnte, südlich von Lerwick. Sandy fühlte sich wohler, wenn man ihm klare Anweisungen gab. Mehr als alles andere auf der Welt wünschte er sich, Jimmy Perez wäre wieder da, so wie früher, klug und scharfsinnig. Und würde ihm sagen, was er tun sollte.
Er nahm den Hörer wieder auf und stellte ein paar uniformierte Beamte zusammen, die nach Aith fahren und den Tatort absperren sollten. «Wir brauchen dort jemanden, der den Hafen überwacht, bis das Team aus Inverness eintrifft», sagte er. Als er seinen Kollegen berichtete, dass die Staatsanwältin die Leiche gefunden hatte, konnte er ihre Ablehnung spüren. Rhona Laing war nicht gerade beliebt. Auf den ganzen Shetlands hätte er niemanden zu nennen gewusst, der sie mochte oder behaupten konnte, er sei mit ihr befreundet. Als er nach draußen ging, um seinen Wagen zu holen, fing es gerade an zu dämmern. Perez war jetzt bestimmt zu Hause, denn Cassie musste bald ins Bett. Cassie, die Tochter seiner Verlobten, die sie ihm in ihrem inoffiziellen Testament hinterlassen hatte. Der einzige Grund, dachte Sandy, weshalb Perez nicht von den Inseln und vor den Erinnerungen an Frans Tod geflohen war.
Perez wohnte in einer umgebauten Kapelle, die niedrig und klein war und einen Blick über Raven’s Head und hinunter zu den Häusern am Pier bot. Vor dem Haus stand sein Wagen. Die Tür ging auf, noch bevor Sandy klopfen konnte, und da stand Jimmy Perez, einen Becher Kaffee in der Hand. Er sah aus, als hätte er nicht mehr geschlafen, seit Fran ums Leben gekommen war, und war hager und unrasiert. Obwohl er ja noch nie besonders auf seine äußere Erscheinung geachtet hat, dachte Sandy. Er hat sich noch nie groß darum gekümmert, wie er aussieht.
«Schläft Cassie schon?» Sandy wollte nicht anfangen, von Leichen und Mord zu erzählen, wenn die Kleine zuhörte.
«Sie ist heute Nacht bei ihrem Vater», sagte Perez.
Bei Duncan Hunter also, dem einstigen Halbstarken der Shetlands, der in der «Haa» wohnte, dem alten Herrenhaus in der Bucht von Brae, das er geerbt hatte. Bei Duncan Hunter, dem Exmann von Fran. Dem ehemals besten Freund von Jimmy Perez.
Perez fuhr fort. «Es ist das letzte Ferienwochenende. In den nächsten Monaten wird sie nicht viel Zeit mit ihm verbringen können. Und du weißt ja, wie Duncan so ist. Treibt sich immer irgendwo im Süden rum, ist immer an irgendeiner Sache dran, die Geld bringen soll. Ich hielt es für das Beste, ihn festzunageln, solange er mal hier ist. Cassie sollte ihren Vater kennen.»
«So hast du auch mal ein bisschen Zeit für dich.» Sandy fragte sich, ob Perez ihn wohl hereinbitten und ihm einen Schluck Whisky oder ein Bier anbieten würde. Jimmy selbst hatte noch nie viel Alkohol getrunken, doch als Fran noch am Leben war, hatte er immer Bier im Kühlschrank gehabt.
«Sie fehlt mir», sagte Perez. «Ganz fürchterlich.» Und Sandy war sich nicht sicher, ob er jetzt von Cassie sprach oder von Fran. Er trat von einem Fuß auf den anderen und schaute aufs Meer hinaus. «Was willst du denn?», fragte Perez. «Mir ist wirklich nicht danach, Gäste zu empfangen. Ich gebe zurzeit keine sonderlich gute Gesellschaft ab.»
Sandy glaubte einen Hauch Selbstmitleid in Perez’ Stimme zu hören und dachte, dass Arbeit im Moment vielleicht das Beste für ihn wäre. «Ich bin nicht zum Spaß hergekommen», sagte er und war selbst überrascht, wie barsch ihm die Worte über die Lippen kamen.
Perez starrte ihn an. Von allen Kollegen war Sandy der Einfühlsamste. Perez hatte sich immer für Sandy
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