Tote Wasser (German Edition)
war aber noch auf der Anderson High School gewesen, als Sandy dort hinkam. Hatte zu den Jungs mit den schicken Klamotten gehört. War Herausgeber der Schülerzeitung. Star der Theatergruppe in der Schule. Zum Studium war er dann aufs Festland gegangen und zurückgekehrt, um für die
Shetland Times
zu schreiben, bis ihn das so elend langweilte, dass er ganz in den Süden zog. Zuletzt hatte er für eine dieser großen Londoner Zeitungen geschrieben, in denen seriöse Artikel standen und bei denen der Sportteil erst auf den letzten Seiten kam. Sandys Mutter war ganz aus dem Häuschen gewesen, als Jerry den Job dort bekam, und immer, wenn sein Name unter einem Artikel stand, schnitt sie den aus, um ihn Sandy unter die Nase zu halten, wenn er mal heimkam.
Jerrys Eltern waren Peter und Maria Markham. Maria stammte von den Shetlands. Sie war oben in Northmavine aufgewachsen. Peter war zugezogen, einer von denen, die man hier auf den Inseln «Fremde aus dem Süden» nannte.
Was hatte Peter Markham gemacht, bevor sie das Ravenswick Hotel gekauft hatten? Sandy konnte sich nicht erinnern, glaubte aber, dass es etwas mit Öl zu tun gehabt hatte. Dann fiel ihm ein, dass das Militär eine Rolle gespielt hatte: Markham war auf dem Air-Force-Stützpunkt von Unst stationiert gewesen, und damals hatte er auch Maria kennengelernt. Als er den Dienst dann quittiert hatte, flog er Hubschrauber von Scatsta zu den Bohrinseln. Das Ravenswick war ziemlich abgewirtschaftet gewesen, als die Markhams es übernahmen. Es war ein altes, im achtzehnten Jahrhundert erbautes Gutshaus, mächtig, mit dicken Mauern und direkt am Meer gelegen. Jetzt war es komplett neu eingerichtet und nannte sich das einzige Hotel mit Landhausatmosphäre auf den Shetlands. Fran und Jimmy hatten ihn einmal dort zum Essen eingeladen, um ihre Verlobung zu feiern. Nur in die Bar, doch selbst die war Sandy immer noch furchtbar teuer vorgekommen. Aber das Essen war gut gewesen, und wenn Sandy eine Freundin gehabt hätte, der er richtig imponieren wollte, dann hätte er sie dort zum Essen eingeladen, aber zur Mittagszeit, wenn es ein festes Menü gab und nicht so viel kostete.
Sandy merkte, dass er schon an Perez’ Haus vorbeifuhr, das sich am Rand von Ravenswick befand. In der alten Kapelle brannte immer noch Licht, doch die Vorhänge waren zugezogen. Vielleicht ließ Jimmy ja mittlerweile das Licht an, wenn er schlafen ging. Vielleicht bekam er ja Albträume im Dunkeln, wie ein kleiner Junge. Oder er saß immer noch im Wohnzimmer und starrte in den Kamin.
In der Eingangshalle des Hotels brannte ein Feuer. Ein Torffeuer, das man schon auf dem Weg vom Parkplatz herauf riechen konnte. Stuart Brodie stand am Empfang. Auch mit ihm war Sandy zur Schule gegangen. Die Bar war mit Hotelgästen gefüllt, die nach dem Essen noch einen Kaffee oder einen Schluck Whisky tranken. Die Rezeption war ganz in dunklem Holz gehalten und duftete nach Bienenwachs.
«Sind Peter und Maria da?» Sandy lehnte sich über den blanken Empfangstresen, damit er näher an Brodie herankam und nicht schreien musste, um sich verständlich zu machen.
«Sie sind gerade hoch in ihr Apartment gegangen.» Brodie war sehr pflichtbewusst, ein bisschen begriffsstutzig und nicht im Mindesten neugierig. «Kann ich dir vielleicht weiterhelfen? Ich möchte sie nur ungern stören.»
«Zeig mir einfach, wo ich langgehen muss, dann finde ich es schon», sagte Sandy. «Ruf sie nicht an.» Er stieg auf der prächtigen Haupttreppe in den ersten Stock hinauf und dann auf einer kleineren in den zweiten, wo er an eine Tür kam, auf der «Privat» stand. Er musste ein paarmal klopfen, bis er schließlich Schritte auf der anderen Seite der Tür hörte und man ihm aufmachte.
Peter Markham hatte immer noch den Anzug an, den er für die Arbeit trug, doch die Krawatte hatte er schon abgenommen, und in seiner Hand hielt er ein Glas. Sein Haar wurde langsam grau, aber er war immer noch gut in Form. Wie ein alter Mann kam er Sandy nicht vor.
«Kann ich Ihnen helfen?» Die Störung schien ihm nicht gerade zu behagen, doch er blieb höflich. Vielleicht klopften ja häufiger Gäste an seine Tür, um sich über etwas zu beschweren oder um Hilfe zu bitten, und bei den Preisen, die sie zahlten, konnte Peter Markham es sich nicht leisten, die Geduld zu verlieren.
Sandy stellte sich vor, und der Mann trat beiseite. «Worum geht es denn, Sergeant? Hat einer unserer Gäste randaliert?» Er erkannte Sandy nicht, aber schließlich hatte
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