Totem des Boesen
versuchte sich in ihre Metamorphose zu flüchten. Aber der Impuls, der normalerweise genügte, um sie die Gestalt und Eigenheiten einer Fledermaus annehmen zu lassen, zuckte ins Leere. Dieser und jeder andere, den sie folgen ließ.
Nur noch der Altar trennte sie von IHM.
Und statt ihr fing jetzt Aimee (die tote Aimee!) an, sich auf dem schwarzen Stein zu verformen - ihre Fesseln abzustreifen.
Aimee wurde zu einer Fledermaus! Die matten Bewegungen der Schwingen wirkten wie pure Reflexe, zu kraftlos, um den toten Körper vom Stein zu erheben.
»Hör auf!« fauchte Lilith. »Hör auf, sie zu verhöhnen!«
Das geballte Fremde jenseits des Altars schien selbst den Gefallen an dem Kunststück zu verlieren. Die Fledermaus schrumpfte zu einem kläglichen, faustgroßen Etwas, das Ähnlichkeit mit versteinerten Exkrementen hatte.
So werde auch ich enden, dachte Lilith. Gleich.
Jetzt!
Sie versuchte ein letztes Mal, den Zwang, der sie beherrschte, abzustreifen.
Sinnlos .
KOMM, lockte das Unbeschreibliche. Sein Arm erreichte sie über den Altar hinweg. Die Berührung war wie ein schwarzer Blitz, der nicht aufhören wollte, in ihren Körper einzuschlagen. Lilith hatte das Gefühl, zwischen einen Hammer und einen Amboß geraten zu sein.
Es war aus.
Aber war es auch vorbei?
*
Zur gleichen Zeit am oberen Missourilauf, South Dakota
Makootemanes Atem schien über dem Feuer zu gefrieren.
Von jenseits der knisternden Flammen beobachtete ihn das Auge des Adlers. Das Totemtier der Arapaho saß regungslos auf dem Pflock, den Makootemane vor Jahrhunderten in die Erde geschlagen hatte.
Zum ersten Mal seit seiner Rückkehr vom Heiligen Berg wurde das Stammesoberhaupt wieder von düsteren Vorahnungen heimgesucht. Visionen, die das in Frage stellten, was seinen starken, ewig jungen Körper in ein Wrack verwandelt hatte: Seinen Sieg über das Böse .
Wo bist du, Wyando? dachte der vergreiste Vampir. Warum antwortest du meinen irrenden Gedanken nicht? Was hindert dich, in den Schoß deines Stammes zurückzukehren ...?
Wyando, das letzte von Makootemanes Kindern im Blute, war fortgegangen. Mit jener Wolfsfrau, die dreihundert Jahre zuvor in die vom Weißen Mann unberührte Wildnis des nordamerikanischen Kontinents gekommen war, um zusammen mit ihrem Begleiter vampirisches Leben zu säen.
Makootemane hatte Gnade unter den Augen des Kelchhüters gefunden und war - damals noch ein Kind von neun Jahren - zum Begründer eines Stammes Unsterblicher geworden. Andere Kinder waren seinem Beispiel gefolgt und hatten sein Blut aus dem Lilienkelch getrunken. 2
Um zu sterben.
Um aufzuerstehen.
Durchdrungen von . Nun, zunächst hatte sie nur die von dem Fremden geschenkte Macht interessiert. Erst nach und nach - und unter Einflüssen, mit denen der Kelchhüter nicht gerechnet hatte -war aus Wesen, die einen Pakt mit der Finsternis geschlossen hatten, das geworden, was die Klauen des Bösen abgestreift und einen eigenen Weg beschritten hatte.
Einen Weg im Einklang mit der Natur. Und mit den Menschen, von deren Blut sich die Unsterblichen nähren mußten .
Makootemane seufzte.
Er hatte stets den Tag gefürchtet, da der Hüter des Kelchs zu ihnen zurückkehren und erkennen würde, was aus ihnen geworden war. Doch statt des Hüters war der Drache zu ihnen gekommen - ein Unheil, das Makootemane rechtzeitig gedeutet und dem er die Stirn geboten hatte.
Etwas Unaussprechliches war über die Welt der Vampire hereingebrochen. Etwas, das von ihren Stammvätern, die einst ihr Blut in den Lilienkelch gegeben hatten, auf die Kelchkinder, die davon getrunken hatten, übersprang. Die Begründer der Sippen wurden zu Boten des Untergangs. Jeder Vampir, der seinem Oberhaupt nahe kam, wurde von einem tödlichen Funken befallen, der sich wie purpurner Staub auf ihn niedersenkte und ihn zu jämmerlichem Siechtum und Sterben verurteilte! Keines Menschen Blut vermochte einen Befallenen länger mit dem zu versorgen, was sie das Alter hatte betrügen lassen - Jahrhunderte lang.
Zynischerweise verschont vom Tod blieben allein die Überträger dieser seuchenartigen Heimsuchung: die Stammväter!
Auf welche Weise Makootemane rechtzeitig Kenntnis von dieser Bedrohung erhalten hatte, vermochte er nicht zu sagen. Manchmal glaubte er, Manitou selbst habe Mitleid mit seinen Kindern bekommen. Mitleid mit einem Splitter seiner Schöpfung, der sich ihm erst entfremdet, dann aber auf wunderbare Weise wieder angenähert hatte .
Etwas kaum Wahrnehmbares riß Makootemane
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