Totem des Boesen
aus seiner Nachdenklichkeit. Vielleicht war es nur der eigene Lidschlag, der die Luft kurz zum Erzittern gebracht - und sich weiter in die ganze Welt fortgepflanzt hatte. So wie der Flügelschlag eines Schmetterlings tausende Meilen entfernt einen Taifun gebären konnte .
Als er nun erneut den Blick des lebenden Totems kreuzte, das seinen Stamm durch die Jahrhunderte begleitet und geschützt hatte, glaubte Makootemane einen stummen Schrei in dem ihm zugewandten Auge des Adlers zu lesen.
Einen Schrei um Hilfe.
Seine Hände ballten sich zu Fäusten. Aber als er genauer hinsah, fand er nichts mehr von dem, was er gesehen zu haben meinte.
Still und stoisch thronte der stolze Vogel auf dem Pflock, schloß seine Augen. Er hatte geholfen, den Drachen zu besiegen - in einem Kampf, der Makootemanes Körper für immer ruiniert hatte.
Und den des Totems auch .
*
Zwei Tage später
Chelana erwachte, weil in ihrer Brust etwas hart gegen den Rhyth-mus ihres eigenen Herzens zu pochen begonnen hatte. Es fühlte sich an wie - ein zweites Herz, und es machte ihr angst.
Angst!
Sie hätte am liebsten aufgelacht, denn sie konnte sich nicht erinnern, je eine solche Regung verspürt zu haben - nicht einmal, als ihr Blutsvater Makootemane sich in den Heiligen Berg geflüchtet hatte, um seine Kinder vor dem drohenden Untergang zu bewahren. Vor einem zornigen, purpurnen Drachen, der allen vampirischen Geschöpfen nachstellte und also auch Chelana nach dem Leben trachtete .
Wie still dieser Tag war!
Der lange Winter hatte sich verabschiedet. In den letzten Tagen war der Frühling mit Macht zurückgekehrt. Die Natur erwachte aus frostigem Schlaf, und selbst die Menschen in der nahegelegenen Stadt fanden allmählich wieder zu einem Leben zurück, das frei war von lähmender Düsternis.
Die Indianerin stand eine ganze Weile regungslos im Eingang ihres Zelts, dessen zurückgeschlagene Büffelhaut in all den Jahrhunderten nichts von ihrer Geschmeidigkeit eingebüßt hatte.
Die anderen Arapaho schliefen. Tagsüber war die beste Zeit für Geschöpfe ihrer Art, um sich niederzulegen und auszuruhen.
Sie machte einen unentschlossenen Schritt ins Freie.
Das Gefühl, von dem sie aufgeschreckt worden war - die Angst, die keinen Namen hatte -, war immer noch präsent.
Vor ihr lag der Dorfplatz mit dem kunstvoll geschnitzten Totempfahl, dessen Holz von einer Alterspatina überzogen war. Auf magische Weise kündete er von den Ruhmestaten derer, die sie einst errichtet hatten. Auf der Spitze des Pfahls thronte die hölzerne Nachbildung jenes Ur-Adlers, dessen reine Tierseele dereinst alle Kelchkinder des Stammes geläutert hatte.
Während ihr eigener Adler sie mit einem heiseren Schrei aus einem der das Dorf umgebenden Bäume begrüßte, wandte sich Chela-nas Blick dem Häuptlingszelt zu.
Makootemane war der erste gewesen, der von den Schwächen seines Menschseins erlöst worden war. Das Blut eines bleichgesichtigen Besuchers hatte ihn getauft - und Makootemanes Blut hatte danach dreizehn weitere Kinder des Stammes ihrer Bestimmung zugeführt.
All das war unendlich lange her. Und doch konnte Chelana sich noch an jede Einzelheit erinnern, als wäre es gestern gewesen.
Sie trat vor den Totempfahl hin, zitternd - als würde sie von den unerklärlichen Beben in ihrer Brust erschüttert.
Makootemane .
War es ein Fehler gewesen, seinem Ruf zu folgen?
Nachdem die Prophezeiung vom Sturz des Adlers gesprochen und ihr Häuptling sich in den Heiligen Berg zurückgezogen hatte, war der Stamm in alle Winde zerstreut worden. Dieser Ort schien nicht mehr sicher. Er schien das Unheil anzuziehen.
Wochen später hatte sie dann Makootemanes Nachricht erreicht, daß der Dämon, der sie bedroht hatte, von ihm besiegt worden sei -und vertrauensvoll waren sie hierher zurückgekehrt.
Alle. Bis auf einen .
Hidden Moon, dachte Chelana mit zwiespältigen Gefühlen. Hidden Moon ist dem Ruf unseres Vaters als einziger noch nicht gefolgt. Und die Ungewißheit, was aus ihm geworden ist, nagt an Makootemane. Hidden Moon war immer sein Liebling ...
Eifersucht schwang in dieser Feststellung nicht mit.
Chelana lenkte ihre Schritte zum Häuptlingszelt. In manchen Momenten fand sie es selbst befremdlich, welches Leben sie hier führten. Daß sie die Zelte einer festen, modern eingerichteten und mit allen Bequemlichkeiten ausgestatteten Behausung vorzogen, obwohl sie die Macht besaßen, unbehelligt in Palästen zu wohnen.
Verrückt. Und doch ... Nur hier konnten sie
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