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Toten-Welt (German Edition)

Toten-Welt (German Edition)

Titel: Toten-Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Köhler
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gesamten Weg von der Stadt hier herauf zur Burg. Niemand konnte sich nähern, ohne dass er es gemerkt hätte. Sofern er ständig auf der Lauer lag, was auf Dauer unmöglich war ohne Ablösung und da er das einzige war, was hier oben lebte.
    Der Burgberg war übersät mit Leichen, es mussten Tausende sein. Die meisten hatte sie bei ihrem Aufstieg als die ehemals ihren erkannt. Kopflos lagen sie nun da und vergingen wie alle anderen. Einem der Rümpfe hatte sie die Kleider ausgezogen und sich selbst angelegt, so dass sie nun mit ihrer Glatze und dem Ledergesicht wie ein abgehärmter Kerl vor Hermann stand.
    „Das soll kein Kloster werden. Was hast du denen da unten für Lügen erzählt?“
    „Sie sollten mich doch gehen lassen. Eine Bußgeschichte ist dafür immer gut.“
    „Andere zu opfern, ist dafür noch besser.“
    „Ich wusste doch, sie würden dir nicht beikommen. Bei mir selbst war ich mir da nicht so sicher. Ich habe kein angereichertes Angstblut gesoffen.“
    Er kicherte in einer Art, wie sie es von ihm noch nie gehört hatte. Es klang anerkennend und zugleich heimtückisch.
    „Das Mädchen hatte überhaupt keinen Schutz.“
    „Um sie tut es mir auch sehr leid. Aber an der Lage war nichts zu ändern. Gott der Herr lenkt, und wir können nicht anders als seiner Bahn zu folgen.“
    „Das alles hier lag also auf seiner Bahn? Und du hast gar nichts zu verantworten?“
    Sie staunte über ihren anklagenden Ton. Man musste nicht so empfinden, wie man wirken wollte, offenbar. Er sprang auf, ließ seine Selbstgerechtigkeit fahren und griff zum letzten Mittel des Schuldigen: Gegenanklage.
    „Willst du mich etwa zur Rechenschaft ziehen? Ohne dich wäre das alles nie geschehen! Du hast sie zu dem gemacht, was sie waren. Und dich selbst zu dem, was du bist.“
    Sie genoss es, die Wunde bloßgelegt zu haben, die er vor sich selbst bisher verborgen hatte, und brachte ein Lächeln zustande mit ihrem ledrigen Mund.
    „Keine Sorge, mein Geliebter. Ich bin sehr gern, was ich nun bin, und ich kann nur raten, was die alte Maria von all dem hier gehalten hätte. Mir gefällt es. Ich will mehr davon. Die ganze Welt soll so aussehen. Und deshalb frage ich dich nun: Wo sind die geköpften Unverweslichen?“
    „Du meinst wohl den einen aus Byzanz.“
    „Ich meine beide. Du hast mit Sicherheit auch des Fürstbischofs Kopf inzwischen abgeschlagen, denn die Angst vor dem, was du aus ihm gemacht hast, war dir anzusehen.“
    Er nickte und schien einzulenken.
    „Ich kann dir zeigen, wo sie sind. So soll es wohl meine Rolle sein, durch dich Gottes Apokalypse einzuleiten.“
    „Sehe ich denn für dich aus wie ein Werkzeug Gottes?“
    Sie grinste, und er meinte die Züge des Pferdefüßigen leibhaftig vor sich zu sehen. Seit Jahren hatte er es nicht getan, aber jetzt passierte es ganz automatisch: Er bekreuzigte sich.
    „Es wird nicht seine Apokalypse sein und auch nicht die des anderen, beide sind nur Fantasie“, flüsterte Maria und entblößte ihre schwarzen Zähne. „Es wird meine ganz allein, denn mich siehst du hier vor dir stehen. Und wenn du dich noch so oft bekreuzigst. Gegen mich hilft kein Ritual.“
     
    Er führte sie hinab in den Burghof und deutete hinüber zum Bergfried. Der Zugang lag, wie es bei diesen Türmen üblich war, fünf Mann hoch über der Erde. Nur eine wacklige Holzleiter führte nach oben zum Einstieg in diesen höchsten Ausguck der Burg, ihren letzten Rückzugsort und zugleich tiefsten Kerker. Blidentreffer hatten Steinbrocken herausgefetzt, aber dem wuchtigen, meterdicken Mauerwerk nicht wirklich etwas anhaben können.
    „Du hast sie da hoch geschleppt? Das glaube ich nicht.“
    „Wohin hätte ich denn sonst mit ihnen gesollt? Sie sind nicht zu verbrennen, genau wie du.“
    Er deutete mit Blicken zu einem Aschefleck im Burghof, auf dem noch Holzscheite glimmten.
    „Und wie tief man sie auch vergraben könnte, wenn sie sich doch mal erheben, ich glaube nicht, dass Erde dann ein Hindernis wäre.“
    „Also hast du sie durchs Angstloch geworfen? Auch ein Turm kann nicht ewig stehen.“
    „Es muss hier und für unsere Zeit ein Ende haben. Was in der Zukunft geschieht, kann nicht in meiner Macht liegen. Ich bin jetzt bereit für dich.“
    „Was sagst du da?“
    „Lass uns nach Süden ziehen. Ein Heiler will ich nimmer sein, denn das war ich wohl nie. Als Kräutermönch habe ich nur Unheil über unsere Welt gebracht. Aber ich könnte ein Fischer sein. Wir könnten in einer Hütte am Meer leben,

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