Toten-Welt (German Edition)
miese Zuhörerin. Oder ganz schlecht im Schlüsse ziehen. Und ich dachte schon, es sei zu plump, die richtigen Namen zu verwenden.“
„Das alles soll wirklich passiert sein? Sie waren Maria?“
„Ich bin es noch. Genau die selbe. Nur geladen mit weiteren 500 Jahren Hass.“
„Und Bruder Hermann, der Mönch, soll doch nicht etwa der heutige Hermann Klangfärber sein?“
„Jetzt wissen Sie, warum Sie hier sind. Seine Spur hat mich zu Ihnen geführt, aber nicht zu ihm selbst. Er hat mich gewittert und ist abgetaucht. Wohin? Das ist die große Frage.“
Amelie sprang auf, schüttelte krampfartig den Kopf und fluchte: „Verdammt! Das ist doch alles Blödsinn. Nichts als Märchen.“
„Würde da draußen nicht gerade die Welt untergehen, könnten Sie es sich leisten, dieses Augen-zu-und-unsichtbar-Spielchen anzustimmen und durchzuziehen. So aber...“
Sie hob den Finger, als sei ihr gerade etwas Wichtiges eingefallen, ging zum Fernseher und drückte den obersten Knopf der Fernbedienung.
Das erste Bild zeigte in Panik durcheinander rennende Massen, dann folgte ein Schnitt auf brennende Autos und Häuser und ein Schwenk auf martialisch aufgerüstete und eingepanzerte Polizisten, die Seite an Seite mit Soldaten auf monströs entstellte Menschen feuerten. Jeder Schnitt trug eine andere Ortsangabe: Berlin, New York, Rio, Moskau...
„Was meinen Sie, Schätzchen: Breaking News dürfte wohl in diesen Tagen die am häufigsten ausgestrahlte Floskel sein. Wer hätte gedacht, dass ein blöder Anglizismus mal das Menetekel werden könnte, das die Menschheit in den Untergang begleitet.“
„Ich kapier das nicht. Das sind doch ganz andere Menschen als die damals. Niemand von heute hat Ihnen irgendwas getan.“
„Mir vielleicht nicht. Persönliche Rache war mir ja damals leider verwehrt. Aber die falschen trifft es trotzdem nicht. Wissen Sie, was das erste war, das mir Bergenstroh im Fernsehen gezeigt hat?“
„Keine Ahnung.“
„Ach, Schätzchen, Sie müssen sich das überhaupt erst mal vorstellen. Ich komme aus einer Zeit, in der Nachrichten von reitenden Boten verbreitet wurden. Das konnte Tage dauern und fand nur zwischen einzelnen hoch gestellten Persönlichkeiten statt. Von denen sickerte es durch an die Knechte, die Köche, die Mägde, die trugen es hinaus in die Dörfer, und bis der letzte Bauer eine Neuigkeit wusste, war sie längst so alt und überholt, dass es den Leuten eher schadete als nutzte, nun davon zu wissen. Die heutige Informationsgesellschaft dagegen...“
„Sie gehen mir auf die Nerven mit Ihren Abschweifungen!“
„Verzeihung. Aber eins sei noch gesagt, weil mir so viele Bezüge auffallen mit meinem Spätmittelalterwissen im Gepäck: Die Nachrichten-Abstrahlung der Erde, die ist heute ganz ähnlich wie die mündliche damals. Irgendwo im nächsten Sonnensystem kommen gerade die ersten Radiowellen der Menschheit an, und die Außerirdischen dort erfahren dann vielleicht gerade vom Ersten Weltkrieg und hören Musik von...“
„Jetzt hören Sie schon auf! Ich will wissen...“
„So war das damals mit der Eroberung von Byzanz durch die Osmanen. Tut mir leid, Sie zu unterbrechen, Schätzchen, aber das ist wichtig. Zu meiner Zeit war diese Schlacht schon Vergangenheit, aber die schlimmste Nachwirkung war brandaktuell.“
Sie unterbrach sich und lächelte mit ihrem Ledermund. Amelie verdrehte die Augen.
„Sie meinen dieses geköpfte Biest.“
„Ich wüsste zu gern, was ein heutiger Wissenschaftler zu diesem Ding sagen würde. Verschwörungstheoretiker würden das Vieh wohl für einen Alien halten. Ich denke inzwischen, es war einfach nur eine menschliche Missgeburt, und was wir da ins Blut sickern ließen und an Fleisch verschluckten, war eine Genmutation, die wie ein Virus wirkte und sich verbreitete. Ich hätte die Menschheit ganz gern noch ein bisschen am Leben gelassen, nur um diese eine Sache zu erforschen, aber damit hätte ich mich als das geoutet, was ich bin, und ich hatte einfach keine Lust, weitere Jahrhunderte eingesperrt zu verbringen. Also hab ich meine Neugier zurückgestellt und mir eine Welt erschaffen, in der ich für immer frei sein werde.“
„Aber...“
„Und wenn Sie das jetzt für allzu egoistisch halten, dann seilen Sie sich mal ab durch das Angstloch in den Kerker des Bergfrieds.“
„Soll das heißen...“
„Verweilen Sie da unten nur 500 Sekunden, und stellen Sie sich dann vor, wie es war, 500 ganze Jahre in einem noch schlimmeren Scheißloch zu
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