Toten-Welt (German Edition)
meisten ihrer Klamotten gekauft und die schicken Boutiquen ihrer Stadt gemieden. Wieso eigentlich? Was nützten ihr jetzt noch ihre angesparten 77.400 Euro (es hatten immer glatte Hundertermarken sein müssen) und die Vorfreude, endlich die 80.000-Euro-Sparbuchmarke zu überschreiten?
Und warum zum Teufel wollte sie nach Hause?
Sie brauchte Fleisch. Und das fand sie dort wohl kaum.
Was hätte sie selbst gemacht, würde sie noch zu den Lebenden zählen? Sich verkrochen, natürlich bei sich zu Hause, denn dort hatte sie alles, vermeintlich, was sie so brauchte. Vorräte für Wochen und Waffen hatte sie, bis auf ihren Baseballschläger, freilich nicht. Die meisten anderen Menschen wohl auch nicht.
Die wie hirntot herumirrenden Vertreter ihrer Art kamen nicht auf die Idee, dort nachzusehen, wo das Frischfleisch sich versteckte. Sie aber konnte das. Sie hatte diese geniale Idee gehabt und würde fressen können ohne Ende. Sie musste nur die Wohnungen aufbrechen, hinter deren Türen die Beute bibbernd vor Angst auf bessere Zeiten hoffte.
Mitten in der Fußgängerzone stehend, drehte sie sich im Kreis und schaute hoch zu den Fenstern. Nichts zu sehen.
Versteckt euch nur! Ich bin raffinierter...
Was sie brauchte, war ein Brecheisen. Oder was Ähnliches. Kein Problem, die Läden dieser Stadt standen für sie offen. Eben hatte sie beschlossen, sich als erstes den Kaufhof vorzunehmen, da drang ihr ein vertrautes Geräusch in die Ohren, das sie seit Stunden schon nicht mehr gehört hatte: ein fahrendes Auto.
Frischfleisch im Anrollen!
Einbruch erst mal nicht nötig.
Oder?
Was, wenn es von ihrer Spezies noch mehr gab – einer Zwischenform, die tot war, aber ihre Denkfähigkeit noch hatte? Wäre es gut oder schlecht, auf so jemanden zu treffen? Und wie war das bei ihr überhaupt mit Autofahren? Ginge das noch? Und selbst wenn – wohin sollte sie denn?
Sie hatte, derweil ihr diese Gedanken durch den Kopf gingen, mit herabhängenden Armen und leerem Blick abgewartet, bis das Auto, ein Golf Turbo-Diesel, heran war. Der Fahrer war ein Mensch – kein Zwischenwesen wie sie. Woran sie das sah? An dem angewiderten Blick, mit dem er sie streifte. Das war einer, der alle, die neu waren in dieser ehemals reinrassigen Menschenwelt, über einen Kamm scherte und als geistig abgestorben und nur am Killen und Fressen interessiert einschätzte. Mit Letzterem lag er nicht so falsch, aber von wegen geistig abgestorben!
Sie trat ihm, da er nur Schrittgeschwindigkeit fuhr, in den Weg und hob den Arm. Sie räusperte sich in der Hoffnung, noch wie gewohnt sprechen zu können und dabei normal und lebendig zu klingen. Sie spürte, dass ihr zerfressener Bizeps nässte und inzwischen nicht nur die Bluse, sondern die Kostümjacke durchdrungen hatte.
Vielleicht war es auch die Tatsache an sich, dass sie bei dieser Hitze eine Jacke trug, was den Fahrer zögern ließ, nachdem er angehalten hatte. Er hielt die Tür verschlossen, das Knöpfchen war unten, und sie hatte wohl keine Möglichkeit, an ihn ranzukommen, außer er öffnete freiwillig.
Ganz langsam und ohne sie aus den Augen zu lassen betätigte er, bei laufendem Motor, einen Knopf und ließ das Fenster einen Spalt nach unten gleiten.
„Bitte helfen Sie mir!“, flehte sie in einer spontanen Eingebung und faltete sogar die Hände dabei. „Überall sind diese Monster, und ich weiß einfach nicht, wohin.“
„Sind Sie Irene Bomhan?“, fragte der Mann durch den Fensterspalt.
„Woher wissen Sie das?“
„Ich komme gerade aus dem Rathaus. Der Oberbürgermeister kam mir etwas seltsam vor.“
„Der wollte doch...“
„Ja, nach Berlin. Hat er mir auch erzählt.“
„Und was wollen Sie von mir?“
„Er meinte, Sie hätten vielleicht eine Spur für mich. Ich bin Polizeihauptkommissar Werner Mertel. Hier, meine Marke.“
Er hielt ihr ein aufgeschlagenes Mäppchen in der Nähe des Spaltes ans Fenster.
Dieses Arschloch von Oberbürgermeister! Der Kerl hatte schon immer sein Fähnchen nach dem Wind gehängt. Aber nun ging es nicht mehr nach Parteien, sondern nach fressen und gefressen werden. Sie riss sich am Riemen und bastelte an einem Lächeln.
„Wissen Sie, das ist schon komisch“, wollte sie plaudern, aber geriet in ängstliche Empörung. „Die Welt geht vor die Hunde, und sie fahren hier herum und ermitteln? Müssten nicht alle verfügbaren Kräfte unterwegs sein, um diese Monster auszuschalten?“
„Das ist Sache des Militärs. Genauso wichtig ist es außerdem, die
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