Toten-Welt (German Edition)
hat man nun von seiner Freundlichkeit! Zum Dank wird man hinausgeworfen!“
Sie zögerte mit ihrem Abgang, um Wicca die Gelegenheit zu geben, alles zurückzunehmen und sich zu entschuldigen – oder es ihrer jungen Begleiterin zu ermöglichen, sich für sie einzusetzen. Da sie nur kalt und feindselig angestarrt wurde, von beiden, wurde ihr zunehmend unwohl, und sie unterließ es, weiter zu schimpfen und zu nörgeln.
„Die wird ihrer Empörung jetzt im ganzen Viertel da unten freien Lauf lassen“, stellte Amelie fest, als die alte Frau zum Burgtor hinaus gerauscht war und ihre Schritte auf der Zugbrücke verhallten.
„Das lässt sich nicht verhindern.“
„Warum haben Sie ihr nicht einfach das Mittel verabreicht?“
„Weil ich die alte Krähe nicht brauchen kann in meinem Team. Solche Leute sind nicht zu steuern. Soll sie doch tratschen. Die nimmt keiner ernst.“
„Und wenn doch?“
„Lassen Sie uns nachsehen, Schätzchen. Vielleicht ist ja gar nichts dahinter.“
„Moment mal. Mich haben Sie in Ihr Team geholt, wie Sie das nennen. Heißt das, ich bin leicht zu steuern?“
„Ja, natürlich. Aber das ist ein Kompliment. Das heißt, Sie sind keine Quertreiberin. Alles klar?“
„Nein, noch nicht. Warum ist diese Unterhaltung überhaupt möglich?“
„Was meinen Sie?“
„Nachdem ich gestorben war. Und wieder aufgewacht. Da war mir alles egal. Ich war so – leer.“
„Wie der Katzentest bewiesen hat.“
„Aber jetzt...“
„Am Punkt Null ist jeder erst mal leer. Was folgt ist eine Art Systemneustart. Wie der wirkt und wohin er führt, ist individuell verschieden.“
„Vielleicht werde ich noch zur Quertreiberin.“
„Wer weiß.“
„Und wenn? Was machen Sie dann?“
„Lassen Sie es lieber nicht drauf ankommen, Schätzchen.“
Amelie setzte einen wild entschlossenen Blick auf, wusste aber selbst nicht, wozu sie entschlossen war.
„Wenn Ihnen nach Rebellion ist“, sagte Wicca sanft, „dann wird es vielleicht Zeit für die nächste Anwendung. Hier bitte...“
Sie überreichte Amelie eines ihrer Tinkturgefäße.
„Ein ganzes Fläschchen auf einmal?!“
„Ein Zeichen meines Vertrauens. Der Inhalt reicht etwa eine Woche. Aber Vorsicht: Wenn Sie mehr als fünf Tropfen am Tag nehmen, tritt genau das ein, was das Mittel verhindern soll.“
„Die Erstarrung?“
„Verbunden mit alptraumhaften Qualen. Ihnen will ich das ersparen.“
„Aber...“
„Genug jetzt. Wir müssen endlich nachschauen, was Schrumpelchen schon wieder anstellt hat.“
Frieda schauderte es beim Gedanken daran, was Wicca von ihr erwartete.
Aber sie spürte ein leises Verlangen. Sie hatte so viel Blut verloren. Sie war auf Entzug nach ihrem bisherigen Stimmungsaufheller-Cocktail. Und sie war süchtig nach dem Mittel.
Das wollte sich ihr am wenigsten erklären. Wie konnte sie abhängig von Wiccas Essenz geworden sein, indem sie von jemandem gebissen worden war, dem man das Zeug ins Auge geträufelt hatte? Auch wenn sie bei ihrer Bewerbung als Mitarbeiterin der Naturheilpraxis Dr. Berkel nach Strich und Faden übertrieben hatte, was ihre Kenntnisse betraf, zumindest ein bisschen was wusste sie doch von Biologie und Medizin. Genug, um einschätzen zu können, dass es allen Naturgesetzen widersprach, was mit ihr passiert war.
Sie war nicht gegangen, als Wicca sie dazu aufgefordert hatte. Heimlich hatte sie sich im Vorratsraum von Helferts Keller versteckt und teils beobachtet, teils gehört, wie Amelie und Wicca nach einiger Zeit nach oben stiegen und das Haus verließen.
Sie wollte ihnen mit Abstand folgen und lief dabei fast den beiden Burschen in die Arme, die zuvor die ganze Zeit stocksteif und wie tot am Boden gelegen hatten. Jetzt waren sie wieder lebendig und offenbar stinkwütend. Sie gestikulierten und fluchten, als sie die Kellertreppe nach oben nahmen, und schlugen die Tür derart ins Schloss, dass Frieda in ihrem Versteck zusammenzuckte.
Erstmals wagte sie es, Licht in dem kleinen Nebenraum zu machen. Sie hatte bereits ertastet und gerochen, dass hier Vorräte gelagert wurden, aber worum es sich handelte, das konnte sie erst jetzt näher in Augenschein nehmen.
Sie war erstaunt über die Menge und Vielfalt an Einmachgläsern, Nudelpäckchen, Trockenobst-Tüten, Süßigkeiten und Fertigmenüs. Fleisch gab es in rauen Mengen, zwar nur in Dosen oder in Form eingeschweißter Würste, aber ihren Hunger hätte sie stillen können.
Es ließ sie kalt. Viel zu stark war eine Gier ganz neuer Art,
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