Toten-Welt (German Edition)
packen wollte. Ganz gegen seinen Jagdtrieb fiel er nicht gleich über die Beute her, sondern setzte sie zunächst außer Gefecht.
Er brauchte Zeit, die Kameras zu arrangieren. Aus vier Blickwinkeln wollte er das Geschehen einfangen und in vier Sequenzen gegliedert: zuerst mit sich selbst als Hauptdarsteller; dann, nahtlos, die Sterbe-Szene; schließlich das, was ihm Millionen einbringen könnte, wäre er so bekloppt, damit an die Öffentlichkeit zu gehen. Klar, dass auch Phase IV im Film zu sehen sein würde: Seine Instruktion des künftigen Täters. Die Supermarkt-Tussi war an seinen, des Schulmeisters, Lippen geklebt. So was von triumphal und neu und einzigartig musste einfach für die Nachwelt verewigt werden.
Er hatte es gerade geschafft, die dritte Kamera zu aktivieren, da regte sich der Star der Show. Er hatte ihm mit seinem k.o.-Gong per Laptop bewusst eine fette Beule an der Stirn verpasst, um sein Publikum von der ersten Sekunde der ersten Szene an zu fesseln. Es sollte sofort klar sein, dass hier kein Schlafender aufwachte, sondern ein bewusstlos Geschlagener mit Platzwunde auf die Reihe kriegen musste, was mit ihm passiert war – und was ihm bevorstand. Dieser Schreck, als er begriff, dass er dem Tode geweiht war, einfach göttlich!
Helfert ließ ihm keine Chance. Er hatte sich beim ersten Augenflattern im Bogen um ihn herumgeschlichen, beobachtete aus dem Hinterhalt, wie er sich aufrichtete, fiel wie ein dämonischer Schatten über ihn her und biss ihn draculamäßig kamerawirksam in den Hals. Anders als der König der Vampire hinterließ er freilich keine dezenten roten Punkte auf der Haut, sondern den reinsten Krater, aus dem das das Blut hervorquoll wie Magma.
Und schließlich versiegte.
Ihre Augen waren absolut gleich.
Amelie stand vor dem Spiegel im Badezimmer der kleinen Suite, die ihr im Palas-Flügel der Burg zugewiesen worden war, und präsentierte sich abwechselnd die linke und die rechte Gesichtsseite, verglich Farbe, Form und Leuchtkraft.
Identisch.
Genau konnte sie nicht sagen, was ihr an den Gesichtern des Kellners und zig anderer von Wicca behandelter Ex-Menschen aufgefallen war, aber die Augen hatten sich jeweils deutlich voneinander unterschieden.
Vielleicht lag es an ihren Kontaktlinsen, dass der Unterschied bei ihr nicht sichtbar war.
Sie fasste nach ihrem Kulturbeutel, kramte Aufbewahrungsbehälter und Pflegemittel hervor, entfernte die Linsen und sah auch ohne keinen Unterschied, soweit ihre Sehkraft eine Beurteilung zuließ. Ihr fiel ein, dass sie die Haftschalen nicht gewechselt hatte, seit sie auf der Burg angekommen war.
Und auf einmal ging ihr ein Licht auf.
Es lag an den Kontaktlinsen!
Das Mittel wirkte über die Augen. Ihre Augen waren durch die Linsen geschützt gewesen. Deshalb waren sie noch gleich.
Ohne Zweifel hatte sie trotzdem eine gehörige Dosis von Wiccas Gift aufgenommen, aber offenbar nicht genug, um ihr Wesen auf Dauer zu zerstören oder sie zu töten. Sie war eine Marionette gewesen, stundenlang. Sie hatte ohne Gewissensregung auf Befehl eine Katze ermordet.
Aber jetzt war ihr eigener Wille zurückgekehrt, und sie schämte sich für die Gewalttat an dem Tier. Ihr Körper hatte sich von der Vergiftung erholt. Dafür sprach auch, dass sich ihr Verlangen, das Mittel nachzuträufeln, in Grenzen hielt – und dass sie nicht den Hauch einer Erstarrung spürte, obwohl die nächste Anwendung überfällig war.
Amelie griff zu Wiccas Fläschchen und war entschlossen, den Wochenvorrat in den Ausguss zu kippen und durch Leitungswasser zu ersetzen.
Da klingelte ihr Handy.
Es ratschte und riss, als Bergenstroh aus dem Rollstuhl aufstand. Nicht nur seine Kleidung, auch seine Haut war mit Sitz und Lehne zusammengebacken gewesen. Der verkohlte Dreck blieb haften und löste sich wie die Schale einer Orange von seiner neuen Haut. Er liebte Wicca für dieses abermalige Geschenk seines bis vor wenigen Monaten gewohnten gesunden Körpers, und er hasste sie mehr denn je, weil er dieses Geschenk schon bald wieder verlieren und zurück in einen Rollstuhl gezwungen werden würde.
Außer er schaffte es, das verdammte Monster dazu zu bringen, ihn auf Dauer mit dem Mittel zu versorgen, das ihn er selbst sein ließ, statt seine Medikation auf eine Stufe herunterzufahren, die ihn irgendwo zwischen gesund und tot hielt auf der Seinsebene eines verkrüppelten lebenden Leichnams, der seine vegetativen Funktionen nicht unter Kontrolle hatte.
Bergenstroh hatte eine
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