Toten-Welt (German Edition)
Übung darin, die schwere Zugbrücke einzuholen. Als sie sich endlich vom Boden löste, war der erste Wiedergänger schon drauf gesprungen, kippte unter dem ersten Ruck und kugelte über die Bretter aufs Tor zu.
Man ließ ihn drinnen in der Überzeugung, mit dem einen dieser offenbar wahnsinnig Gewordenen schon fertig zu werden, da klammerte bereits der zweite an der inzwischen schräg in die Luft ragenden Zugbrücke. Mit Einsatz aller verbliebenen Knechte und des Kochs schaffte man es, die Holzkonstruktion dennoch so weit in die Schräge zu kurbeln, dass keiner von der anderen Seite des Grabens mehr weit und hoch genug springen konnte, um die Brücke als solche zu nutzen.
Wie besessen stürzten sich die heranstürmenden Massen daher nun in den Wassergraben. Der Burgkommandant, der so manchen Angriff auf Burgen und Städte miterlebt hatte, war wie gelähmt, und so war es die Wache, die an ihm vorbei entschied, nun endlich auch das Tor zu schließen. Der erste Wiedergänger, der über die Zugbrücke auf die Burgseite gelangt war, stand da bereits in der Durchfahrt.
Zwei der Knechte übernahmen es, ihn aufzuhalten, während die beiden Wachen das in den Angeln quietschende Tor unter dem Ansturm des zweiten Angreifers zu schließen versuchten. Da waren ein bis zwei Dutzend der Gesamtmasse bereits halb durch den Graben, und so entschied man, statt den wild um sich beißenden Angreifer abzuwehren, ihn auch hereinzuholen, um das Tor freizubekommen.
Aus taktischer Sicht mochte die Entscheidung richtig gewesen sein, denn die Masse, drüben angelangt, prallte nun am Tore ab. Die beiden stöhnenden und heulenden Verrückten, die durchs Torhaus preschten, hatten längst aber zwei Knechte gebissen, sich den Abwehrenden entrissen und es in den Burghof geschafft.
Der Kommandant hatte sich auf den Wehrgang gerettet und starrte fassungslos wechselweise zur einen und zu anderen Seite nach unten. Das war ein Angriff ohne jegliche Erklärung, ohne Worte, ohne Sinn und Grund. Wer waren diese Leute überhaupt? Keiner außer seinen zuvor eigenen Leuten sah nach Kriegsvolk aus. Es waren Weiber in Nachthemden darunter, uralte Männer und sogar Kinder.
Es musste die Hölle losgebrochen sein oder die Fanfare des Jüngsten Gerichts ertönt, denn mochten diese auf zwei Beinen daherkommenden Gestalten auch wie Menschen aussehen, sie benahmen sich doch wie die Handlanger des Satans persönlich. Nur zwei hatten die Burg erstürmt, doch die begannen bereits die Oberhand zu gewinnen, obwohl zwei Wachen und drei Knechte mit Piken und Schwertern auf sie einhieben und ihnen längst tödliche Wunden besorgt haben müssten.
Da der Palas praktisch verwaist war und der Fürstbischof dort, wenn auch schon halb entseelt, unbedingten Schutz zu genießen hatte, fiel es dem Kommandanten leicht, zu entscheiden, nun der eigenen Rettung höchsten Vorzug einzuräumen. Er rannte über dem blutigen Geschehen in der Vorburg den Wehrgang entlang zum Innentor, flüchtete sich in die Kernburg und schloss das Tor gerade noch rechtzeitig, als einer der beiden Angreifer von seinem Opfer, einem der Knechte, abließ und nun ihn ins Visier nahm.
Das letzte dieser Szene, das der Kommandant durch den sich schließenden Torspalt sah, war etwas Unglaubliches: Der halb zerfleischte, längst tot am Boden lang gestreckte und sein blubberndes Blut vergießende Knecht begann zu zucken, riss die Augen auf und wälzte sich auf die Füße. Sein Blick traf dabei ihn, den Kommandanten, und ihm abzulesen war die gleiche rasende Fleischgier wie die der Angreifer.
Franz von Neuminingen begriff das Ungeheuerliche noch immer nicht. Man hatte ihn, den Burgvogt, den Verbündeten und Verhandlungsführer der Kaisertreuen, in der Stadt gefangen gesetzt samt seiner Wachen und im Rathausverlies eingekerkert! Die Verhaftung war direkt am Haupttore mit einer Brutalität und Wortlosigkeit erfolgt als meinten die Städter es mit wilden Tieren zu tun zu haben.
Der gesammelte Hass der Stadtmeute war in Form eines Geschosshagels fauler Eier, Matschäpfel und Steine auf ihn und seine Leute eingeprasselt. Er wusste keinen Fall, bei dem man Verdächtige innerhalb des Kerkers in Ketten legte oder gar in den Stock zwang – außer sie waren Kriegsverbrecher. Genau das aber hatten sie ihm angetan und wohl auch seinen Männern in den Nachbarzellen dieses Lochgefängnisses. Welchen Grund solle man haben, sie als Kriegsfeinde zu betrachten?
Irgendwas ging hier obendrein noch vor sich, etwas, das nichts
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