Totenbeschwörung
Traveller-Kindern gespielt hatte, wollte er stets ein Vampir-Lord sein, ja, als Kind hatte er sich tatsächlich gewünscht, einmal Wamphyri zu werden. So nahm es nicht weiter wunder, dass dies das einzig Greifbare war, woran er sich aus dieser Zeit erinnerte.
Er kannte alle Sagen und Mythen über die Wamphyri und wusste Bescheid über ihre Fähigkeiten. Er wusste, dass sie Gedanken lesen und aus ihren Körpern einen Nebel heraufbeschwören konnten, dass die großen wie die kleinen Fledermäuse der Sternseite ihre Vertrauten waren und ihnen gehorchten. Doch es gab auch andere, nicht so bekannte Überlieferungen, die davon berichteten, dass die Wamphyri unbedeutende Kreaturen wie Fledermäuse und die großen, roten, Fledermäuse fressenden Spinnen, die in den Höhlen der Sternseite lebten, als Kundschafter und zu anderen ... Zwecken einsetzten. Einer dieser Sagen zufolge fertigten die Wamphyri ihre Kleidung aus Spinnweben, während es in einer anderen hieß, dass sie die Leichname ihrer Opfer in Kokons einspinnen ließen, damit das Fleisch bis zum Verzehr frisch blieb.
Derartige Erinnerungen gingen ihm durch den Kopf. Möglicherweise erweckte sein neu erworbener Vampirinstinkt sie wieder zum Leben, sodass Nestor, obwohl er nicht wusste, wie es nun im Einzelnen funktionierte, doch klar war, dass diese alten Überlieferungen einen wahren Kern enthielten. Ihm war ebenfalls klar, weshalb die auf den Vorsprüngen der Höhle bislang unsichtbaren Spinnen ihr Netz in Schwingungen versetzten. Sie wollten denjenigen fangen, der es gewagt hatte, hier einzudringen. Sie hatten es auf ihn abgesehen, ohne Verstand und rein instinktiv. Doch wie dem auch sein mochte, er war keine Höhlenfledermaus, die in den schimmernden Höhen ihrem Tod entgegenschwirrte!
Zwar empfand er die Spinnen, ganz gleich wie groß sie waren, keineswegs als Bedrohung, dennoch wandte er sich langsam wieder zur Türöffnung um ... In ebendiesem Augenblick vernahm er das verstohlene Tappen von Pfoten und ein leises Hecheln, das aus dem zurück zur Treppe führenden Gang zu ihm drang. Was auch immer ihm da folgte, war nun hier. Nestors Finger schlossen sich fester um das Heft seines Messers. Er blieb im Schatten des Eingangs verborgen, bis das Wesen allmählich auf der Kreuzung auftauchte, von der die zahllosen Gänge abzweigten. Als es endlich langsam, vorsichtig näher kam ...
... hielt Nestor den Atem an und drückte sich tiefer in den Schatten. Das Geschöpf hatte die Nase am Boden und folgte schnüffelnd seiner Spur. Geifer troff ihm von der Schnauze. Sie war über dreißig Zentimeter lang. Als Nestor das Wesen in voller Größe sah, erschien ihm das Messer in seiner Hand auf einmal lächerlich klein und er bekam weiche Knie.
Nestor hatte in seinem Leben genug Graue gesehen, die Wölfe des Grenzgebirges, aber noch nie ein Tier wie dieses. Gut, es hatte etwas von einem Wolf an sich, aber in der Natur kam etwas Derartiges nicht vor. Die Kreatur entstammte Cankers Bottichen, noch dazu hatte Canker sie gewissermaßen nach seinem Bild geschaffen.
Das Ding sah aus wie ein Wolf, gewiss. Allerdings war es rot wie ein Fuchs, und wenn es sich vorwärts bewegte, war dies der reinste Albtraum, denn es hatte sechs Beine! Die ersten vier setzte es jeweils versetzt auf wie jeder andere zahme Hund oder Wolf auch, doch das hintere Paar bewegte sich zugleich mit dem mittleren im Passgang, wie beim Niederwild der Sonnseite, wenn es aufgeschreckt wurde und floh. All dies geschah jedoch mit einer an Anmut grenzenden Geschmeidigkeit. Das Wesen maß von der Schnauze bis zum Schwanz fast zweieinhalb Meter. Es hatte eine Schulterhöhe von über neunzig Zentimetern und wog gut und gerne drei Zentner. Seine Pfoten waren breiter als Nestors Hände, und auf dem unebenen Boden schabten die Klauen über die steinernen Platten.
Kopf und Gesicht waren einfach monströs. Abermals fühlte Nestor sich an einen Wolf erinnert. Die Abmessungen entsprachen ganz sicher denjenigen eines ungeheuren Wolfes. Doch der starre, brennende Blick und die verschlagene Schläue hinter den schwefelgelben Augen, die Farbe des Fells, all das gehörte zu einem Fuchs. Eine Kombination der Fähigkeiten beider Tiere musste eindrucksvoll sein!
Der Wächter machte einen merkwürdigen, beinahe hüpfenden Satz nach vorn. An der Stelle, an der Nestor stehen geblieben war, senkte sich die lange Schnauze schnüffelnd zum Boden. Die Bestie stellte die großen, empfindlichen Ohren, bis sie in die Richtung von Nestors
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