Totenblick: Thriller (German Edition)
der Täter gefallen zu sein.
Für Lackmann ergab sich nach logischer Schlussfolgerung folgender Ablauf: Der Mörder hatte Rhode beschattet, um ihn bei Gelegenheit zu überwältigen und den Fluch des Totenblicks zu vollziehen. Es konnte sein, dass der Mörder den Polizeifunk abhörte und von Sterz’ Festnahme sowie der Überführung erfahren hatte.
Bei der Gelegenheit bekam er mit Gunther Sterz gleich den Mann geliefert, der versucht hatte, seine Methode zu kopieren und ihm den Mord an Schwedt anzuhängen.
Für Lackmann wurde es während des Aufstiegs mehr und mehr wahrscheinlich, dass der Verrückte sowohl den Kriminalhauptkommissar als auch Sterz geschnappt hatte. Ihr Wahnsinniger würde die beiden Männer verhört und auf diese Weise erfahren haben, dass die Mails, die Bernanke an den Wahnsinnigen schicken ließ, nicht vom Nachahmer gekommen sein konnten.
Aus dem neuen Wissen resultierte die Flashmob-Aktion, in deren Schutz der Wahnsinnige sich ins Haus geschlichen und das Feuer gelegt hatte. Davon war Lackmann überzeugt.
Das Feuer machte die nachfolgenden Taten erst möglich, denn im Durcheinander überwältigte er den SEK-Mann und zeigte sich so dreist, auch noch die LKAlerin zu töten und es nach dem typischen Totenblick-Unfall aussehen zu lassen. Die Obduktion würde garantiert Ungereimtheiten aufzeigen, die auf einen Kampf hindeuteten.
Lackmann hatte sich inzwischen die Halde hinaufgearbeitet und strich die halblangen, welligen grauen Haare aus dem Gesicht. Er ging zu seinem Wagen, wo er sich seitlich auf dem Sitz niederließ, umständlich die Gummistiefel abstreifte und sie gegen die abgewetzten Halbschuhe tauschte.
Sein Blick richtete sich auf die Stadtsilhouette.
Er hatte Leipzig immer gemocht, weil es trotz der großen Einwohnerzahl überschaubar und liebenswert geblieben war. Er kannte die Schattenseiten, kannte die unschönen Facetten seiner Heimatstadt, doch das Gute überwog.
Jetzt mordete sich ein Wahnsinniger durch die Straßen, wie es in keiner amerikanischen Großstadt vorstellbar gewesen wäre.
Die Medien berichteten fast im Stundentakt über die Geschehnisse, die Zeitungen stellten jeden Tag neue Fragen in den luftleeren Raum nach Fortschritten, und irgendjemand aus der Abteilung spielte gezielt Informationen an die Journalisten. Vom Tod der LKA-Beamtin bis zum Verschwinden des Lockvogels.
Wenigstens blieb es auf der Website des Mörders still. Er schien seine Siege leise auszukosten.
Lackmann zog die langen Beine in den Wagen, klaubte die Stiefel vom Boden und legte sie in den Fußraum des Beifahrers.
Mit überhöhter Geschwindigkeit fuhr er zum Büro zurück. Keine halbe Stunde später saß er in seinem Zimmer, in dem er sich reichlich nutzlos vorkam. Er schaltete den Computer ein, wartete, dachte nach.
An der Pinnwand gegenüber hingen Bilder von Gunther Sterz, die noch von der Fahndung stammten.
Langsam erhob sich Lackmann vom Stuhl und nahm sie ab. Dieser Fall war abgeschlossen, auch wenn die SoKo daran kein Verdienst hatte. Erst der brachiale Überfall auf Sterz, dann der Mord an ihm. Seltsamerweise wurden dem Polizistenmörder ausgerechnet zwei Verbrecher unabhängig voneinander zum Verhängnis. Die Gerechtigkeit mochte Ironie.
Lackmann warf die Ausdrucke in den Mülleimer, verharrte unschlüssig im Raum, sah auf Rhodes Platz, der sauber aufgeräumt war.
Ein Gedanke ergriff Besitz von seinem Verstand, ein Gedanke, der ihm nicht gefiel und den er zu unterdrücken versuchte.
Doch er machte sich breit wie der alte Gestank aus den Tiefen der Deponie: Lackmann befürchtete, dass der Mörder ein neues Bild vorbereitete.
Und er befürchtete auch, dass er Rhode, den begleitenden Polizisten und den Lockvogel des SEK darin wiedersehen würde. Das wäre ein weiterer Triumph des Mörders über seine Häscher.
Lackmann surfte durch das interne Netz der Polizeidirektion und las die Nachrichten, die zwischen den Kommissariaten ausgetauscht wurden.
In jeder Zeile stand Ratlosigkeit. Niemand wusste, wie es mit der SoKo Bildermorde weiterging; Bernankes Stellvertreter machte irgendwie weiter. Konfus traf es am besten.
Inzwischen war die gesamte Bundesrepublik in Aufruhr, und vermutlich würde der Präsi sein Amt aufgeben müssen. Garantiert drängten sich Spezialisten des BKA in den Fall, weil der Bundesinnenminister endlich Erfolge sehen wollte anstatt neuer Leichen.
Lackmann wurde bewusst, wie einfach es war, kapitale Verbrechen zu begehen, wenn man nicht zu den Dümmsten
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