Totenblick: Thriller (German Edition)
Heck touchierte ein Hindernis, sie wurden durchgeschüttelt; hinter ihnen hupte es mehrmals.
Lackmann fing den Wagen ab und drückte das Gas mit klopfendem Herzen durch. Er sah das ungewöhnliche Motorrad in der mattschwarzen Lackierung. Es war die Night Rod Special, die keine fünfzig Meter vor ihnen entlangbrauste. Die genauen Details der geklauten Harley kannte er nicht mehr, wusste aber, dass die Endgeschwindigkeit mörderisch und uneinholbar hoch lag. Sobald der Mörder freie Stecke hatte, würde er ihnen entkommen.
»Dieser Tierficker!«, tobte Löwenstein und trat wütend in den Fußraum. »Fahren Sie zu, Lackmann! Scheiße, fahren Sie!«
Lackmann tat das Gegenteil: Er bremste, sprang aus dem Auto und hetzte zur Tram, die in dem Moment ihre Türen schloss und abfuhr.
Anstatt den Fahrer zum Anhalten zu zwingen, sprang er auf eine schmale Kante am hinteren Einstieg und hielt sich mit einer Hand an der Gummilippe fest, die als Türdichtung fungierte. Bei den neuen Tramwagenmodellen wäre das nicht gegangen; die alten ermöglichten die Zirkusnummer noch, da die Türen nicht immer dicht schlossen.
Die Fahrgäste bemerkten seine Showeinlage, der Fahrer dagegen nicht und fuhr los.
Lackmann klebte wie ein Putzerfisch am Wagen, zog am stehenden Verkehr vorbei und schloss zu der Night Rod auf, die sich durch den beginnenden Stau schlängelte. Der Helm, die Statur des Mannes auf dem Sitz, alles passte zu Löwensteins Beschreibung des Mörders.
Der Kommissar hatte blitzschnell eine Entscheidung getroffen: Die KarLi war mit Baustellen und Verengungen übersät und neigte dazu, um diese Uhrzeit völlig zu verstopfen. Nur der ÖPNV kam entspannt durch die Nadelöhre.
Schließlich überholte die Tram die Harley, die zwischen zwei eng stehenden Wagen festhing; ein LKW stand schräg auf dem Bürgersteig und nahm jegliche Ausweichmöglichkeit. Nun könnte der Verdächtige höchstens zu Fuß flüchten.
Die Tram verringerte ihre Geschwindigkeit, da die nächste Haltestelle nahte.
Lackmann wagte den Absprung, kam einigermaßen geschickt auf, ohne dass er stürzte, und hetzte über die Gleise auf die Straße, wobei er die Pistole aus dem Holster riss.
Die Ampel sprang auf Grün, der Verkehr setzte sich in Bewegung. Erste Lücken taten sich um die Night Rod auf.
»Halt!«, befahl Lackmann, und die Wagen in der Schlange hielten sogleich an. Auf Männer mit Pistolen in der Hand wurde gehört, mochten sie noch so schräg angezogen und spindeldürr sein.
Der Mörder hatte ihn bemerkt und gab spielerisch Gas. Die eine Lücke genügte ihm. Er bog langsam vor der Schnauze eines grünen Ford ab und tuckerte aufreizend an Lackmann auf dem Gehweg vorbei in eine Seitenstraße, die nicht vom Stau betroffen war.
»Halt!« Lackmann riss die Waffe in den Anschlag, folgte dem Mörder, aber die vielen Passanten und Radfahrer um ihn herum machten es unmöglich, gefahrlos einen Schuss abzugeben.
Der Motorradfahrer fuhr immer noch langsam, das geschlossene Visier zu ihm gewandt. Dann hob er grüßend die Hand und drehte sich nach vorne. Einmal kurz beschleunigen, und die Night Rod sauste uneinholbar die Straße hinab.
Lackmann verstaute die Waffe und gab die Meldung über sein Handy durch. Hätte sich ihm die Gelegenheit geboten, er hätte das ganze Magazin in den Mörder gejagt.
Er wusste, dass sie ihn heute nicht schnappen würden.
Es blieb ihnen nichts als die Informationen auf der Netzhaut der Leiche.
***
Leipzig, Zentrum-Süd, 31. Dezember
Ares saß mit den leitenden Beamten der SoKo im abgedunkelten Besprechungsraum und sah auf die vom Computer bearbeiteten und ausgewerteten Netzhautbilder, die ihnen Rether zusammen mit den KTI-Experten präsentierte. »Ich sehe so gut wie gar nichts«, flüsterte er Lackmann zu.
»Ich auch nicht.«
Mehr als ein Tag war vergangen. Quälende achtundzwanzig Stunden nach Auffinden der Leiche gab es Informationen. Der Arzt hatte die Optogramme nach dem üblichen Vorgehen sichtbar gemacht und festgestellt, dass auf den Netzhäuten verschiedene Bilder aufgebracht waren, wie der Mörder es am Telefon versprochen hatte.
Der Tatort selbst wirkte unscheinbar, und zunächst sah es aus wie ein herkömmlicher Mord im Treppenhaus – wenn das Opfer nicht dbs gewesen wäre: Daniela Baum-Schmidtke lag im Lift, geköpft.
Das Blut hatte sich auf dem gesamten Boden verteilt, der Schädel war dieses Mal nur notdürftig angeklebt worden, das Rot quoll an ihrem Hals hinab. Ares reichten die Bilder sowie der
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