Totenblick: Thriller (German Edition)
Orte, die sie dank Jaroslaf als mögliche Ateliers des Täters in Betracht gezogen hatten, wurden aus großer Ferne ausgespäht: der Altflughafen Mockau und die heruntergekommene Sternburg-Brauerei.
Seitdem hieß es: warten. Nicht auf Godot, sondern auf ihren Bildermörder.
Urplötzlich klingelte das Diensttelefon.
Lackmann schreckte aus seinen Überlegungen und hob ab. »Hallo?«
»Hallo?«, sagte Löwensteins Stimme nicht weniger fragend von der anderen Seite. »Was kann ich für Sie tun, Kommissar?«
»Sie für mich? Aber …« Lackmann wunderte sich. »Ich habe Sie nicht angerufen.«
Ein leises Lachen erklang. »Ich habe Sie beide angerufen«, hörte er plötzlich eine unbekannte Stimme flüstern. »Geben Sie mir einen Augenblick, dann ist auch Chefermittler Stern in der Leitung.«
Es knackte. »Stern?«
»Hallo, Kriminalhauptkommissar. Willkommen bei meiner kleinen Informationsveranstaltung«, sprach der Mörder gedämpft. »Ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, dass es so weit ist: Mein nächstes Werk wartet, aber Sie dürfen nicht zu sehr enttäuscht sein. Es ist im Vergleich zu Guernica oder der Laokoon-Gruppe unspektakulär, aber doch historisch zu nennen.«
Die Tür zum Büro flog auf.
Löwenstein fegte herein, sein Handy am Ohr. In seinen Augen lag etwas zwischen Erleichterung und Entsetzen. Die Konsequenzen des Anrufs waren bekannt: Es gab eine Leiche. Und Optogramme.
»Ich habe beschlossen, das Ganze persönlicher zu gestalten«, erzählte der Verrückte unterdessen. »Die Hinweise, die Sie finden können, werden Ihnen zum einen das nächste Opfer zeigen und zum anderen meine Adresse. Ich brauche diese Unterkunft nicht länger und gebe sie Ihnen an die Hand – sofern Sie wissen, wonach Sie suchen müssen. Keine Angst: Ich schwöre, dass es dort keinerlei Fallen gibt.«
Lackmann sah auf sein Smartphone-Display. Stern hatte ihm eine SMS geschickt:
FESTNETZNUMMER LEIPZIG.
WURDE RÜCKVERFOLGT.
TEAM MIT RETHER IST UNTERWEGS.
Er hielt es Löwenstein hin.
»Ich nehme an, dass Beamte und der Arzt zum Herausoperieren der Augen bereits auf dem Weg zu mir sind?«, hörte er den Mörder sagen. Niemand gab ihm Antwort. »Sehr gut! Dann kann ich weitermachen, damit sie was finden. Und nehmen Sie es mir bitte nicht übel, dass ich nicht auf sämtliche Details Rücksicht nehmen kann. Mir bleibt weniger Zeit als sonst. Es mag unspektakulär aussehen, aber die Umgebung ist schwer zu kontrollieren. Sie wissen ja jetzt, dass Licht tödlich für meine Kunst ist.«
Im Hintergrund erklang eine Polizeisirene, dazu mischte sich das entfernte Rattern von Rotoren.
»Er ist noch in dem Haus!«, raunte Löwenstein aufgeregt zu Lackmann. »Schnappen wir ihn uns! Los, Kommissar.«
»Ich drücke Ihnen die Daumen, und: Denken Sie an die Macht des Totenblicks«, verabschiedete sich der Täter leise lachend. »Auf Opfer eins folgen in absehbarer Zeit Opfer zwei und drei, natürlich in einem Werk, wie ich es versprochen habe. Ich habe auch schon eine Idee. Ich gebe Ihnen drei Tage.«
Klick.
»Das sehen wir uns an.« Lackmann hatte sich vom Tatendrang des Hünen anstecken lassen. Es gab keine Bomben, also konnte man nichts falsch machen, außer vielleicht einem SEK-Team vor die Mündungen zu springen. Doch das Risiko wollte er auf sich nehmen. Schließlich ging es um das Arschloch, das Peter Rhode auf dem Gewissen hatte.
Der Kommissar sprang auf und rannte hinaus, Löwenstein folgte ihm.
»Sagten Sie nicht, dass Sie keinen Führerschein mehr haben?«, warf Löwenstein ein, während sie durch die Flure hetzten.
»Brauche ich nicht. Das Auto hat Blaulicht und Sirene.«
Lackmann ließ sich von der Bereitschaft einen Schlüssel geben, und sie stiegen in einen silberblauen PS-starken Audi A8 , mit dem die Leipziger Polizeidirektion auf den Autobahnen kontrollierte.
Rasant, mit dröhnendem Horn und blitzenden Lampen, ging es durch die Leipziger Innenstadt.
Der Promillepegel sorgte bei Lackmann für die richtige Mischung aus Aufmerksamkeit und Mut, er fuhr wie ein Stuntman, wie er noch nie in seinem Leben gefahren war.
»Nach rechts! Nach rechts!«, schrie ihm Löwenstein plötzlich ins Ohr.
»Nein, wir müssen die KarLi runter und …«
»Da fährt aber meine geklaute Maschine!«, schrie Löwenstein und griff ihm einfach ins Lenkrad, zwang den Audi zu einem Ausflug quer über die Fahrbahn und die Schienen, mitten hinein in den Verkehr auf der anderen Seite. »Die Harley, in Schwarz.«
Das ausbrechende
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