Totenblick: Thriller (German Edition)
Möglichkeiten, unentdeckt zu bleiben.
Der Drang, sinnloserweise »Hallo?« zu rufen, erwachte in ihm.
Erst als zwei Radfahrer am anderen Ende auftauchten und mit ihren klapprigen Drahteseln rasch zu ihm aufschlossen und zittrige Lichtstrahlen aus den Lampen auf den Weg warfen, schwand sein Unbehagen.
Rhode ging zügig weiter und freute sich auf den Schutz seines Wagens. Immerhin hatte Armin Wolke auch ihn angesehen. Totenblick.
***
Kapitel 3
Leipzig, Zentrum, Hauptbahnhof, 2. November
D er hat angefangen!«, schrie der Punk in den engen Hosen und mit der zerfetzten Lederjacke. »Hat mir aufs Maul gehauen und meinen Hund getreten! Da habe ich ihn geboxt.« Sein Iro hing gefährlich zur Seite, klappte aber nicht vollkommen auf den ansonsten stoppligen Schädel um.
»Die Sau hat mich beklaut!«, grölte der bärtige Obdachlose zurück, der wie sein Gegner extrem nach Alkohol roch; aus einer kleinen Platzwunde an der Wange rann Blut. Seine Kleidung bestand aus einem Sammelsurium abgetragener Klamotten. »Ich zeig den an! Fünf Euro fünfundzwanzig Pfandgeld, die Sau!«
»Gar nicht wahr, Opa! Du lügst ja!«
Um die beiden hatte sich ein Grüppchen aus zeitlich begrenzten Punk- und Obdachlosen-Freunden gebildet, die sich gegenseitig beschimpften und Partei ergriffen. Die Hunde der Punks bellten aufgeregt dazwischen; dazu erklang das mittelgute Schifferklaviergespiele eines Straßenmusikanten, der am Anfang der Nikolaistraße stand. Es schien, als lieferte er den Soundtrack zum Geschehen – ein Medley aus Volksliedern.
Den Streithähnen gegenüber war ein Stand von Bibeltreuen vor dem Bretterzaun der Baustelle aufgebaut, dessen Aktivisten sich aber vornehm zurückhielten. Ganz so christlich war man dann doch nicht, um sich schlichtend zwischen die Schreihälse zu werfen.
Polizeimeister Markus Hammer, 26 Jahre, stand zwischen den verfeindeten Parteien, eine Hand lässig an seinem Schlagstock, was ausschließlich seiner eigenen Beruhigung galt und keine Drohung bedeutete. Er kannte diese absurden Szenerien. »Ruhig. Wir beruhigen uns. Ist doch ein zu schöner Tag, um sich aufzuregen.«
»Dann gibst du mir die fünf fünfundzwanzig, Meister?«, heulte der Obdachlose, dem schon ein paar Zähne fehlten. Ob mangels Pflege oder als Folge von Schlägereien, das ließ sich durch einen kurzen Blick auf die Lücken nicht nachvollziehen.
»Nee, so war das nicht gemeint.« Hammer lachte freundlich. »Wir schauen mal, wie wir das lösen.«
»Die Sau soll mir meine fünf fünfundzwanzig geben!«, schrie der ältere Mann und wollte sich auf den Punk stürzen, der lachend nach hinten hüpfte und ihm die Mittelfinger entgegenstreckte.
Touristen, die rollkoffernd an ihnen vorbei in Richtung Hauptbahnhof strömten, blickten kurz herüber. Einheimische, die das Spiel kannten, interessierten sich gar nicht mehr für die üblichen Auseinandersetzungen, die sich regelmäßig am kleinen Grüngürtel vor der Hotelfront abspielten. Sie gingen einfach weiter.
Unmittelbar schräg neben Hammer stand Polizeiobermeister Erwin Herold und behielt die Gruppen im Auge, falls sich einer entschließen sollte, auf die Gesetzeshüter loszugehen. Die zwei wurden von Kollegen Das Model und der alte Mann genannt.
Seine Nerven waren weniger gut als die seines jungen Streifenpartners, den er für seine Gelassenheit und Umsicht bewunderte. Er hätte den beiden nervenden Idioten einmal den Knüppel übergezogen und sie vom Platz gejagt. Der dunkelhaarige Herold war bekennender Hardliner und fürs Durchgreifen bei Einsätzen verantwortlich, sein blonder Gegenpart für den Charme und Deeskalation. Die Kombination aus den beiden erwies sich als effektiv.
Die Beamten trugen die dunkelblauen Uniformen, eine Koppel um die Hüfte mit allen möglichen Ausrüstungsgegenständen und den Pistolen sowie kugelsichere Westen zum Eigenschutz.
»Komm mal her, Meister«, sagte Hammer jovial zum beschuldigten Punk. Dann deutete er auf die nahe Baustelle und den Kran. »Da oben hat die Firma Überwachungskameras installiert, um ihr Eigentum zu schützen. Ich bin mir sicher, dass der Winkel groß genug ist, um auch den Platz hier zu erfassen.«
Der Punk verlor seine gute Laune und steckte die Hände in die karierten Hosentaschen. »Ja, und?«
»Wenn du dem Mann seine fünf fünfundzwanzig geklaut hast, können wir das mit der Kamera rausfinden.«
»Ist das nicht illegal?«, rief eine Punkerin motzig.
»Scheiß Überwachungsstaat! Deutschland verrecke!«, schrie
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